Heft 
(1899) 8
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11. (6. ordentl.) Versammlung des VIII. Vereinsjahres.

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uud Gartendirektoren nicht immer geübte Schonung seltenerer Bäume für die Zukunft ernstlich anraten. Nicht einzelnen, nein hunderten, selbst tausenden von Spaziergängern, gehen solche, ihnen liebgewordene Bäume, verloren. Der Victoriapark besitzt noch keine Castanea. Zwar ist dies Gehölz schwer verpflanzbar, aber ich möchte dasselbe als Decernent doch für baldige Anpflanzung daselbst empfehlen, bin auch erbötig, ein paar junge Exemplare davon zur Vervollständigung des Baumbestandes abzugeben. Möchte doch das von mir am Tegeler See gegebene Beispiel anderweitig zur Nachfolge anspornen. Ein Wort noch zu den anwesenden Damen, die. ich als die vortrefflichsten der Hausfrauen und als die be­rufenen Vertreterinnen des häuslichen Herdes verehre. Diese wissen die Kastanien, wenn auch als ein Produkt der Fremde, wohl zu schätzen, sie werden es noch mehr tliun, wenn sie derselben erst als einer heimisch gewordenen Frucht gegenüber stehen. Wie anheimelnd platzen nicht deren goldbraune Schalen, auf eiserner Schippe knisternd, über offenem Feuer geröstet, um dann mit frischer Butter genossen zu werden. Notabene, wo ist denn jetzt noch offenes Feuer? Höchstens da, wo noch ein Kamin in der Wohnung glüht. So ist denn die reichlichste Gelegenheit zur erwähnten Prozedur uns durch die obligatorische Einführung her­metisch verschliessbarer Thiiren an unseren Kachelöfen geraubt worden.

Die intimste Wahlverwandtschaft der Kastanie aber zieht sie zum Geschlecht der Schwimmvögel. Nicht zwar zur Gans, für deren Füllung im Gänsebraten märkische Sitte immer den Apfel vorschreiben wird, wohl aber zur Ente, die als Ersatz ihres Eingeweides eine Farce von Kastanien unbedingt für die schmackhafteste erklären wird. Mit vor- gebundeuer Serviette vor einer solchen Schüssel sitzend, lernt man den stolzen und schönen Baum, dem in unserer Sprache unwandelbar das Adjektiv echt anhaftet, doppelt lieben. Dann überlassen wir uns auch gern der Erinnerung an jene lieblichen, lichtgrünen Haine, die mit wunderbar sanft schattenden Kronen, am Südabhang der Alpen eine weite Region bildend, uns als majestätische Vorhalle den Eingang zu Italien eröffnen. Angenehm munden als Leckerbissen die Marrons glacös feiner Desserts, aber freudiger noch hören wir, vom Gebirge nieder­steigend, die Kastanie in lombardischer Redeweise als den Brotbaum der ärmeren Volksklassen nennen und als solchen preisen. Die Polenta, glaube ich, entnimmt ihren Rohstoff eben so oft der Kastanie wie dem Maismehl. Soviel für heut von der Kastanie, deren Einbürgerung, seit lange schon begonnen, die märkische Pomona von dem neu tagenden Jahrhundert erwartet.

Bei der hierauf sich entspinnenden Debatte machte Herr Direktor Dr. Otto Reinhardt auf einen sehr gewaltigen, fruchttragenden Ma­ronenbaum von seltener Schönheit im Schlossgarten zu Wernigerode am Harz aufmerksam, Herr Dr. Bolle auf die riesenhaften Maronen-