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Berliner Zustände und Persönlichkeiten etc.
Religion der Potuaner schliesst Holberg mit der Äusserung, dass die Leser wolil geneigt sein möchten, die Glaubenssätze der Potuaner als reine Naturreligion aufzufassen, eine Ansicht, zu der auch er neige- Die Potuaner behaupteten jedoch, dass ihre Vorfahren sich zwar in den frühesten Zeiten mit der schlichten Naturreligion begnügt hätten, dass aber die Erfahrung sie gelehrt habe, wie wenig dies hinreiche; denn oft werde durch Trägheit und Unachtsamkeit das Licht der Natur, das sittliche Gefühl verdunkelt, und oftmals würden durch endloses Grübeln spitzfindiger Philosophen die eigenen und fremden Begriffe verdorben, wenn der um sich greifenden Denkfreiheit durch ein geschriebenes Gesetz kein Damm gesetzt würde. Deshalb sei ihnen vor mehreren Jahrhunderten ihre Glaubens- und Sittenlehre durch göttliche Offenbarung zu teil geworden, und sie selbst hätten durch ein Gesetz verboten, die heiligen Schriften zu erklären und über religiöse Fragen zu disputieren.
Mylius, welcher ein Anhänger der Aufklärung war, konnte sich mit solchen Gedanken nicht einverstanden erklären, meinte auch in der Vorrede, dass sie eine Stockorthodoxie verrieten, die den überall hellsehenden Holberg gar sonderbar kleide und die gewiss nur Maske aus Pfaffenscheu sei. Er veränderte die Stelle deshalb in das Gegenteil. „Pure, pure Naturreligion werden die mehresten meiner Leser ausrufen“, schreibt er, „und ich muss ihnen beistimmen. Indes weiss dies Volk doch damit vollkommen auszureichen, und es widerlegt durch die Tat gänzlich diejenigen, welche mit so vielem Ungestüm die Notwendigkeit einer Offenbarung behaupten. Das durch den Finger des höchsten Wesens in unser Herz geschriebene Gesetz, sagen sie, ist uns ein besserer Wegweiser als Eure Sammlung von mystischem Unsinn, abenteuerlichen Fragen und scl^derhaften Märchen, die eben so sehr die Menschlichkeit als den gesunden Menschenverstand empören, und die nur durch die Einwirkung eines übeltätigen Dämons entstanden sein kann.“
An einer anderen Stelle wendet sich der Bearbeiter gegen die Tageslitteratur: „Unter den Potuanischen Lehrern gibt es solche, welche die Professoren des guten Geschmacks heissen. Diese Männer müssen dafür sorgen, dass die Köpfe der jungen Leute nicht mit elenden Kleinigkeiten oder ungesitteten Bildern angefüllt werden, und daß keine Kanthariden, Gedichte nach dem Leben, Grecourts und dergleichen Frivolitäten, oder keine solche platte, triviale Skribeleien, wie die Berliner Zuschauer und Chronik oder der Küster von Rummelsburg das Herz oder den Geschmack verderben. Die „Kanthariden“ sind erotische Gedichte von Joh. Bernh. Gabr. Büschel (Rom 1785 bei Giovanni Tossoni, in Wirklichkeit: Berlin, Himburg); unter den „Gedichten nach dem Leben“ und den „Grecourts“ sind die von Joh. Geo. Scheffner verfassten „Gedichte im Geschmack des Grecourt“ gemeint, welche in der vierten Auflage (London 1786 bei Alexander