Heft 
(1904) 13
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17. (8. ordentliche') Versammlung des XII. Vereinsjahres.

XXIV. Herr Kustos Buchholz: Dem Mark. Museum sind durch Herrn Körner die hier ausgestellten 4 vom Orientmaler Max Rabes vor etwa 20 Jahren aufgenommenen Skizzen zugegangen, die einige kleine Partien der verrufensten Gegend Alt-Berlins darstellen, nämlich der GasseAn der Königsmauer. Im Mittelalter und im. Jahrhundert existierte diese Gasse nur als freie Kommunikation innerhalb der Stadtmauer von der Georgenstrasse (jetzt Königstr.) bis zum Heil. Geist-IIospital. Sie war nach aussen von der Stadtmauer, nach der innern Stadt zu von den Gärten und Hinterhäusern der Klosterstrasse begrenzt. Als die Stadtmauer in Folge der Anlegung der weiter hinausgeschobenen Festungswerke in den 1670er Jahren für die Stadtverteidigung über­flüssig geworden war, wurde minderbemittelten Leuten der Bau von Buden und Häusern unter Benutzung der Stadtmauer als Hintergrund gestattet. Da aber die Kommunikation überhaupt nur eine Breite von 79 Meter hatte und eine Gasse von wenigstens 3 Meter frei bleiben musste, so blieb für die Anlage von Häusern nur eine Tiefe von 4 bis 6 Meter. Natürlich konnten so nur solche Wohnungen errichtet werden, die nach hinten weder Luft noch Licht hatten und da ein irgend be­mittelter Hausstand sich mit solcher Unterkunft nicht begnügen konnte und nur die ärmsten Leute auf solche Wohnungen reflektierten, so ent­sprach auch die Bauanlage, die Einrichtung und Ausstattung der Häuser den ärmsten Verhältnissen. Kein Wunder, wenn sich mit der Zeit nur noch der Auswurf der städtischen Bewohner in dieser Gasse behaglich fühlte und sich dort das hässlichste und widerlichste Stück der Berliner Sittengeschichte abspielte. Ja die Gasse erhielt im Jahre 1839 eine Art öffentliches Privileg auf jene Zustände, indem die Polizeibehörde die bis dahin in allen Stadtteilen geduldeten Bordelle auf Beschwerden der verschiedenen Adjacanten aus ihren bisherigen Häusern nach der Königsmauer verwies, wo denn auch auf der Klosterstrassen-Seite einige Lokale mit reicheren Einrichtungen entstanden. Als aber 1845 die öffentlichen Häuser überhaupt aufgehoben wurden, verwandelte sich ihr Inhalt in die Form der heimlichen Prostitution und liess sich in fast allen Häusern der Königsmauer nieder. Wir haben leider keine Photographien oder sonstige Bilder, die eine annähernde Vorstellung von dem Aussehen und dem Treiben in dieser Gasse bieten. Es scheint, als wenn sich kein Photograph oder Maler zu Aufnahmezwecken hingewagt hat; anständige Personen durften sich überhaupt dort nicht sehen lassen, ohne schwere Belästigungen von den Frauenzimmern zu erleiden, die in auffälligen dekolletierten Trachten auf den hühnerstiegenähnlichen Haustreppen sassen oder aus den Fenstern lugten.

Erst Ende der 1870er Jahre wurde mit dem Durchbruch der Kaiser Wilhelmstrasse jenes Treiben ein wenig zurückgedrängt, bis in den 80er Jahren die völlige Aufhebung der Gasse erfolgte, und diese