Heft 
(1904) 13
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Eingemauerte Segenssprüche in mittelalterlichen Bauwerken.

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Baude sprengen (Merseburger Zaubersprüche), Riegel abstossen, Berge öffnen und schließen, Schätze auftun, Geburten verzögern, Waffen fest und weich, Schwerter taub machen; Knoten schürzen, dieRinde vom Baum lösen, Saat verderben, böse Geister rufen und bannen, Diebe binden. (Vgl. auch Wuttke, Aberglauben § 221242).Oft sind in christlich geformten Segen die heidnischen Grundlagen noch unverkennbar; an Stelle Wodans, Donars, der Frigg traten Christus, Petrus und Maria, zuweilen auch die heilige Lucia mit den 3 Töchtern (Nornen). Für den Gewittergott Donar ist St. Florian eingetreten, der gewöhnlich als Krieger und mit einem Gefäß Flammen ausgießend dargestellt wird. Angesichts dieser Tatsachen halte ich es für durchaus wahrscheinlich, daß sich bei den Erbauern wichtiger Gebäude, welche von Stürmen, Feuersbrünsten und Kriegsnot bedroht wurden, der Wunsch geregt habe, dem Bauwerk einen Segensspruch mitzugeben, der dasselbe gegen alle Gefahren feite und festigte. Eine Anrufung jenes Feuer-Heiligen war wohl für Norddeutschland ausgeschlossen, besonders da St. Florian seit 1183 Schutzpatron Polens gewoi'den war. Er konnte dann wohl an die Stelle eines solchen Feuersegens bei Profanbauten, die nicht wie die Kirchen schon durch die Umschrift der Glocken (vgl. Bergau Inventar S. 98, z. B.Dem Haus hilf aus Not, Maria gieb Brod, Schwanebeck bei Belzig) und deren Geläut (fulgura frango) gegen Feuer- und Blitz­gefahr gesichert schienen,*) einfach ein Vers aus der heiligen Messe treten, der durch seinen Wortlaut den Schutz Gottes herabflehte. War aber die offene Anbringung an der Außen- oder Innenwand solcher Bauwerke aus irgendwelchen Gründen untunlich, so mauerte man den Stein mit dem Segensspruch einfach in die Mauer hinein, und die Bauleute waren jetzt dessen sicher, daß dem Gebäude nun nichts Schlimmes widerfahren könne.

Ein solcher Fall liegt nun m. E. vor bei der Inschrift des Branden­burger Steintorturmes, der nach Adler um 1380 erbaut am Ufer des Schleusenkanals an der Südwestseite den Feinden den Eintritt in die Stadt wehrte. Dieselbe befindet sich auf einem Ziegelstein, welcher 188(5 bei der Renovierung des Turmes von den Maurern herausgebrochen wurde und bis dahin nur mit der schmalen Kopfseite (als sogenannter Strecker) von außen sichtbar gewesen war, sodaß man die Schrift nicht sah.

Eine Reihe von Worten dieser 3zeiligen Inschrift, welche lange jeder Erklärung widerstand, vermochte ich nach Herstellung einer Photographie zu lesen, vollständig ist sie von Herrn Universitäts-Professor Dr. M. Tangl zu Berlin entziffert worden. Sie lautet nach Einfügung der durch Ab­kürzung und durch die Verstümmelung des Steines ausgefallenen Buchstaben:

*) Über die magische Wirksamkeit einzelner zauberkräftiger Spruchformeln siehe den ArtikelGlocke in Götzingers Keallexicon S. 216.

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