15. (5. ordentliche) Versammlung des XIII. Vereinsjahres.
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D. Kulturkundliches.
VI. Zum Sankt-Nikolastag: 6. Dezember. Der berühmteste von allen sechs Heiligen dieses Namens ist derjenige Nikolaus, dessen Gebeine noch jetzt zu Bari in Unter-Italien eine fast abgöttische Verehrung geniessen und dorthin durch frommen Diebstahl gelangt sein sollen. Schon als Säugling war St. Nikolas ein frommes Geschöpf, denn schon damals fastete er freiwillig zweimal in der Woche. Während der in Lycien um 300 verheerend auftretenden Pest verrichtete der spätere Bischof von Myra Wunder christlicher Liebe. Aus seinem Sarge schwitzt noch jetzt ein heilsamer Balsam. Geachtet*) und verehrt wird er noch jetzt als Schutzpatron der Kaufleute, der Reisenden, der-in Gefahr schwebenden Schifter und Fischer, der Armen und der lieben Kinderwelt. Unzählige Nikolaikirchen — viele in unserer Provinz mit Berlin — erinnern an den schutzgewaltigen St. Nikolas, Klaus oder Klaas. Sein Kalendertag hat noch heute etwas ungemein Volkstümliches. In West- und Nordwestdeutschland gibts da vielfach eine regelrechte Bescherung. Unter Mummenschanz und mancherlei Hailoh geht Sankt Nikolaus um, den artigen Kindern zur Freude, den unartigen zur Strafe. In Süddeutschland kommt er oft im Gewände, mit der Mütze und dem Stabe eines Bischofs. Fast immer ist er als alter Mann mit langem weißen Barte gedacht und erinnert so an seinen Freund und Kollegen, den Pelzmärte, oder, wie er bei uns und überhaupt in Mitteldeutschland heißt, den Knecht Ruprecht. Ein beliebter Brauch ist es, daß die Kinder beim Schlafengehen ihre Schuhe mit etwas Futter für das Nikolauspferd vor die Stubentür setzen, in Berlin meist leere Schüsselchen; am anderen Morgen finden sie dafür Spielsachen und Leckereien vor. Natürlich will St. Nikolaus um seine Schätze hübsch gebeten sein. Das geschieht durch althergebrachte Reime, z. B.: „Sankt Niklas, gottsheiliger Mann, zieh den besten Rock dir an und reit darin nach Spanien, hol Äpfel von Oranien und Birnen von dem Baum!“ Früher gabs auch
*) Die itlteste und eigentliche Nikolai-Kirche ist San Nikola in dem erwähnten apulischen Bari, 1087 von Robert Guiscard erbaut, nm die aus Myra in Lycien hergebrachten Gebeine des Heiligen aufzunehmen. In der Kirche befindet sich u. A. der Grabstein Roberts Grafen von Bari, Protonotar des grausamen Carl von Anjou. Der Protonotar leitete den blutigen Prozeß gegen den unglücklichen Konradin von Hohenstaufen und ward von Carls Schwiegersohn an derselben Stelle, wo er das Todesurteil verkündete, niedergehauen. In der recht unbequem zugänglichen Krypta befindet sich ein silberner Altar mit Reliefs angeblich von 1319, welcher die Gebeine des Heiligen Niklas enthält, die das „Manna di Bari“, eine wundertätige, besonders von den Russen geschätzte Flüssigkeit ausschwitzen. Es ist aber zu beachten, daß das Fest dieses eigentlich uns Märker besonders angehenden St. Niklas nicht etwa am 6. Dezember, sondern am 6. Mai gefeiert wird, zu dem Tausende von Pilgern namentlich aus den benachbarten albanesischen Dörfern der Provinz Bari herbeiströmen.