Heft 
(1904) 13
Seite
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17. (0. ordentliche) Versammlung des XIII. Vereinsjahres.

Richard Wagner und Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe 18531871, heransgegeben von Prof. Dr. Wolfgang Golther, Rostock, Berlin 1904, in bereits 8. Auflage, welche das lebhafte Interesse beweist, welches diese merkwürdigen Seelenäußerungen gleichgestimmter idealistisch veranlagter Menschen in den weitesten Kreisen erregen. Ein Rezensent drückt sich hierüber wie folgt ans:

Wer Richard Wagners Werke genau kennt, seine Musikdramen und seine Schriften, wer seine Briefe alle gelesen hat, mit seinem Le­bensgang vertraut ist, und nun vermeint, um den ganzen Menschen rund herum zu sehen und wohl auch in ihn hinein; der wird nach der Lektüre dieser kostbaren Briefe und Tagebuchblätter für Mathilde Wesendonk sich eingestehen müssen: so habe ich ihn noch nie erschaut, so hat er in Worten noch nie sein Herz, sein Fühlen und Wesen offenbart, eine ganze Lebensperiode erscheint hier in neuem Licht.

Und nun heißt es, diese köstlichste Gabe nutzen, die Briefe lesen und immer wieder lesen. Für denAnfallenden im Studium wagnerischer Kunst und Lehre gibt es keinen Weg, der schneller und tiefer in das geheimnisvolle Wesen des Genies führte; dem Adepten aber ist es eine unerschöpfliche Quelle des Genusses und höherer Erkenntnis.

Wer da weiß wie in anderen Familien dergleichen vertrauliche Mitteilungen sorgfältigst, oft ein Jahrhundert lang und mehr vor den Augen Unbeteiligter gehütet werden,*) der muß über die Objektivität staunen, mit der diese Aufschlüsse der breitesten Öffentlichkeit übergeben werden, während doch die mittelbar mitbetroffene Frau Cosima Wagner, Siegfried Wagner und andere Beteiligte sich noch desrosigen Lichtes erfreuen.

Mathilde Wesendonk ward, was wir für ihre Verehrer wiederholen wollen, als die Tochter des Kommerzienrats Karl Luckemeyer und seiner Frau Johanna geb. Stein, am 23. Dez. 1828 zu Elberfeld geboren. Am 19. Mai 1848 vermählte sie sichin leider unverstandener Gemeinschaft mit Otto Wesendonk (geb. 16. März 1815,{ 18. November 1896), Teil­haber eines großen New Yorker Seidenhauses. Der Ehemann W. unter­stützte geradezu die Annäherung seiner Frau an den Meister, dem er die Mittel zu einem Landhaus dicht neben der stolzen Wesendonkschen Villa am Züricher See gewährte. Frau Mathilde war eine schöngeistig veranlagte, schriftstellerisch vielfach tätige Frau. Sie schrieb u. a. die DramenGudrun (Zürich 1868);Edith oder die Schlacht bei Hastings (Stuttgart 1872);Friedrich der Große (Berlin 1871); fernerMärchen

*) Ich denke u. a. an den Briefwechsel zwischen Charlotte Diede und Wilhelm v. Humboldt. Die Diedeschen Briefe, obwohl das Verhältnis der bedauernswerten Frau durchaus ein platonisches gewesen, sind leider und entschieden tadelnswerter Weise von den Humboldtschen Erben verbrannt worden.