Heft 
(1912) 20
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21. (7. ordentliche) Versammlung des XIX. Vereinsjahres.

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sein neues Haus mit den 99 Schafsköpfen zeigte, gesagt haben soll:Seh Er nur zum Fenster hinaus, daun ist das Hundert voll! In Wirklichkeit wird die Verzierung mit Widderköpfen erst unter Friedrich Wilhelm TT. Mode, ebenso die mit Stierköpfen, in Anlehnung an den römischen Opfer­gebrauch der Ovetaurilia von Ovis, das Schaf, und Taurus, der Stier. Noch hat, wie angedeutet, das Neubaufieber dies schöne Gebäude verschont, aber rechts und links, davon, Landsberger Straße 60 und Neue-König- Straße 49, an der Ecke des Georgenkirchplatzes, pocht bereits der Ab­bruchshammer. Dieser Georgenkirchplatz, der gelegentlich des Neubaues des prächtigen Gotteshauses einheitlich hergestellt wurde, bildet noch immer eine friedliche Oase in dem oft wüsten Getriebe der benachbarten Hauptverkehrsstraßen und gemahnt, daß hier viele Jahrzehnte hindurch ein Gottesacker w r ar.

Nach diesem Vorstoß wenden wir uns nach der Alexanderstraße zurück, die mit der Straße Am Königsgraben in der Nähe des Tietz- schen Warenhauses zwecks dessen Vergrößerung eine weitreichende Um­gestaltung erfährt.

Die Alexanderstraße, die ihren Namen nach Kaiser Alexander I. empfing, büßt die fünf Häuser Nr. 57 (Ecke Königsgraben) bis 61 ein, meist Geschäftshäuser, ohne baukünstlerischen Wert, die im vorigen Jahrhundert mehrfach umgemodelt worden sind. Allerdings befindet sich darunter das Gebäude, das zu dem Lessinghaus Am Königsgraben Nr. 10 gehört, und zwar so, daß man von der einen zur anderen Straße pas­sieren kann.

Von der alten Gestalt der Straße Am Königsgraben bleiben vorerst nur die zwei stattlicheren Gebäude übrig, die unmittelbar an das Waren­haus anschließen. Die Straße entstand erst nach 1750 zunächst auf der eben erwähnten Seite. Am Königsgraben war damals nur ein Mehl­magazin (Nr. 16) vorhanden und von einem kleinen Befestigungsgraben umzogen, über den eine Brücke zum Magazin führte. Die übrigen Häuser am Graben wurden erst, nachdem jener kleine Wasserlauf verschüttet, seit 1780 gebaut, und hiervon ist seit drei Jahren keine Spur mehr, ins­besondere infolge der vielen gelbbacksteinernen Neubauten vorhanden, die vereint den WirtschaftskomplexHandelsstätte Alexanderplatz bilden.

Mit einer gewissen Wehmut wird man dem Abbruch des gedachten Lessinghauses Am Königsgraben Nr. 10 Zusehen. Die Erinnerungstafel und die Büste des großen Dichters v T ill das Warenhaus gern außen an seinen Neubau anbringen, auch den Verein zur Erhaltung des Lessing­hauses (der nunmehr seinen Namen in Lessing-Verein umändern wird) ein Dichterzimmer einräumen, aber der Reiz des Ursprünglichen und Alters ist dahin. Freilich muß ich trotz meinerPassion für die Antike gestehen: etwas Öderes und Häßlicheres als der Hof des Dichterhauses ist mir sobald nicht vorgekommen.