Heft 
(1912) 20
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22. (15. ausserordentl.) Versammlung des XIX. Vereinsjalires.

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Mit Lessing und Moses Mendelssohn war Nicolai bis zum Tode in Freundschaft verbunden. Lessing hat zweimal in der Nähe, wenn auch in Alt-Berlin gewohnt, am Nicolai-Kirchhof und in der Heiligengeiststraße, und verkehrte mit Nicolai außer in dessen Hause auch in der seiner Zeit berühmten Weinhandlung von Maurer & Bracht, Brüderstraße (später mit No. 27 bezeichnet) deren Schicksal war, dort im Jahre 1877 von dem Rudolf Hertzogschen Etablissement verschlungen, dann nach Scharrn- straße 4 verlegt zu werden, um auch dort bei dem jüngsten Hertzogschen Erweiterungsbau von neuem ein gleiches Schicksal zu erfahren.

Eugen Zabel hat sich in einer seltenen, 1893 als Manuskript gedruckten, hochinteressanten Broschüre (Geschichte einer Berliner Wein­stube, Maurer & Bracht, 1768-1893. Ein Erinnerungsblatt, S. 23) folgendermaßen ausgelassen.

Lessing wohnte zu jener Zeit in der Heiligengeiststraße bei einer trefflichen alten Mamsell, deren er in seinen Büchern gedenkt, aber ohne ihren Namen zu nennen. Dieser ist in Folge dessen der Nachwelt ver­loren gegangen. Sein Gegenüber war der Dichter Ramler, gleich ihm ein Junggesselle und Liebhaber eines angenehmen Tropfens. Wurde ein rotes Fähnlein am Fenster herausgehängt, so bedeutete das keineswegs sozialdemokratische Umtriebe, von denen man zu jener Zeit nichts wußte, so daß sich die Polizei auch nicht zu beunruhigen brauchte. Das Fähnlein deutete vielmehr daraufhin, daß es Zeit sei, wieder ein Mal nach der Brüder­straße zu wandern und einer Flasche den Hals zu brechen. Waren sich die Freunde über die Ausführung dieses Vorhabens einig und hatten sie das Ziel ihrer Wünsche erreicht, so unterließen sie es aller Wahr­scheinlichkeit nicht, einen Blick auf das ehrwürdige und vornehme Gebäude gegenüber Maurer & Bracht zu werfen, wo ihr gemeinschaftlicher Freund Nicolai bis an sein Lebensende gewohnt hat.

Und Seite 24.Wenn Männer wie Lessiug, Mendelssohn und Nicolai in diesen Räumen zusammenkamen, war es natürlich, daß die Unterhaltung sich mit Vorliebe um literarische und philosophische Fragen drehte. Auch liebten es die Freunde, sich das Neue, das sie geschaffen hatten, einander vorzulesen. Daran knüpfte sich eine heitere Anekdote, die der Mitteilung wohl wert und des alten geistreichen Berlin und seiner geselligen Freuden nicht unwürdig ist. Eines Tages las der berühmte Philosoph Mendelssohn seinen Freunden seinenPbaedon, über die Unsterblichkeit der Seele vor zufälligerweise hörte auch ein gewisser Grützmacher, ein gewöhnlicher Bürger, der an einem Nebentische seinen Wein trank, zu und trat nach Beendigung der Vorlesung an das gelehrte Dreigestirn mit den Worten heran:Ick jloobe nich an ihr.Woran glauben Sie nicht? replizierte Lessing, der Grützmacher kannte.Nu, an der Unsterblichkeit. Warum denn nicht, Herr Grützmacher?Ja, sehe Se, wenn ick dran jloobte und se kommt nicht, dann ärjerte ick mir. Wenn ick nicht dran