Heft 
(1912) 20
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Die Berliner Volkssprache.

Von Agathe Lasch.

Es ist im allgemeinen üblich, das Berlinische schlechthin alsver­dorbenes Deutsch zu belachen oder abzutun, und selbst der größeren Masse der Gebildeten ist der Gedanke nicht geläufig, daß die Sprache des Berliners etwas historisch Berechtigtes ist, und allein in ihrer geschicht­lichen Entwickelung verstanden werden kann. Aber auch diejenigen Kreise, die mit geschichtlichen Voraussetzungen, mit der Kenntnis der Tatsache, daß einst eine niederdeutsche Bevölkerung in Berlin saß, an eine Beurteilung des Berlinischen gehen, stellen wiederum unberechtigt nur zu einseitiger Hervorkehrung einiger Eigentümlichkeiten unser Idiom, das Berlinische der Gegenwart, als eine niederdeutsche Mundart dar. So heißt es z. B. in der vielfach auch von germanistischer Seite rühmend erwähnten Darstellung derSprache des Berliners von Eduard Engel (Beilage zurMünchoner Allgemeinen Zeitung vom 8. Juni 1903): Das Berlinische ist, wie allbekannt, eine niederdeutsche Mundart, die ihre besondere Färbung erhielt durch das jahrhundertelange Zusammen­wohnen einer großen Bevölkerung auf kleinem Raum und ohne namhafte Veimischung mit fremden Bestandteilen.

Diese Beurteilung des Berlinischen ist, wie erwähnt, nur möglich, wenn man schon von vornherein mit dem Gedanken, daß einst eine plattdeutsche Bevölkerung hier wohnte, die berlinischen Abweichungen von der Schriftsprache mustert. Freilich sehenDroppen undStrümp, Bom undStene ganz niederdeutsch aus. Aber sie erscheinen in einem andern Lichte, sobald man sich die Fragen vorlegt: Warum sind gerade diese niederdeutschen Laute bewahrt? Und warum nur diese? Was ist aus den übrigen geworden? Warum sagt man nicht ebenso gut tlt fürZeit,süeken fürsuchen,punt oderpert (Pfund, Pferd)? Warum heißt es in Berlinlofen mit dem anscheinend nieder­deutschen o, während doch die plattdeutsche Formlopen lautet? Warum sind hier diese p nicht gerade so gut bewahrt wie die p inStrümp undDroppen?

Die Reihe dieser Einwände gegen die alte Theorie läßt sich mühe­los verlängern. Doch genügen schon die angegebenen Punkte um zu