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Elisabeth Lemke.
kann, duften schon die Kiefernnadeln stärker. Es ist, als ob man neue Lebenskraft einatme; so anregend und heilsam. Und das ist keine Einbildung. Längst ist die Menschheit hinter die heilkräftige Wirkung der Nadelbäder gekommen. — Wir haben zwar noch eine ganze Woche lang April, und der Herr Doktor hat die Nadelbäder erst für den Mai verordnet; aber das ist nicht buchstäblich zu nehmen; das Abnadeln kann beginneu. So denkt wenigstens das alte Weibchen, das wir gerade dabei erwischen, ihren Raubzug in die neuen Schonungen auszudehnen. Den jungen Stämmchen dürfte das Abnadeln nicht angenehm sein und die kleinsten Kiefeimkinder möchten unter den Klotzkorken (Holzschuhe mit Vorderteil von Leder) ihres Lebens nicht sicher bleiben. Einer von uns ruft: „Lass’ Sie sich nicht einfallen, in die neuen Schonungen zu gehen! Hört Sie?“ — „Jau, jau, ech heer’; (ja, ja, icli höre) — ecli we nech hengeie; (ich werde nicht hingehen) — neiche, nei, nei, nei“. — — Der Frühling wuchs sich aus; und nun liegt auch schon der Johannisabend mit seinen Scherzen und Heimlichkeiten — den letzten Resten einer einst heilig gehaltenen Sonnwendfeier — hinter uns. Die wilden Rosen am Waldrande blühen, als hätten sie’s gar eilig. Wir halten uns nur flüchtig bei ihnen aut, wir streben dem Schatten des Waldes zu. Aus der Ferne sah auch der Wald sonnendurchgliiht und unbewegt aus; aber das täuscht nur den Unkundigen. Die älteren Schonungen, wo alles so eng bei einander steht und durch graue Flechten auf abgestorbenen Aesten ein ermüdendes Einerlei vorstellt, lassen wir beiseite; wir wissen, wo uns unter freistehenden, hohen Kiefern anf kleinen Waldwiesen und feuchten Gründen erquickende Frische geboten wird. Und auch heute — da wir doch meinten, die Luft rühre sich nicht — wogt es in den Kronen, gleichsam wie Wellen, die weit, weit weg ihren Ausgang nahmen und nun leise verrinnen dürfen. Dann wieder Schweigen, — traumverloren, — Erinnern und Ahnen, für das es keine Worte gibt. — Wie schnell verging doch die Zeit! Die neuen Kieferntriebe sind schon erheblich nacbgedunkelt; bald wird der kegelförmige Zapfen (der sich stets mit seiner Spitze dem Stamme zuwendet, als bezeuge er damit eine Zusammengehörigkeit) ein reizendes Gebilde sein: die leuchtend grünen Schuppenschilde dachen sich nach allen vier Seiten ab. So mußte sich der Frühling in den Sommer wandeln; den Blüten folgen die Früchte. Das wissen auch die Dorfkinder; längst hat das Sammeln der Erdbeeren begonnen, und nun kommen noch die Blaubeeren hinzu. Ein Kind nach dem andern trägt sein gefülltes Schüssel- chen oder Kännchen, seelensvergnügt mit dem erhaltenen Dittchen (10 Pfennig) davoneilend. In unserm Walde waren immer so viele und so schöne Erdbeeren; Masius würde sich recht daran erfreut haben. Und den Beeren folgen die Pilze. Wir haben, als Kinder, auch fleißig mousserons gesucht, die kleinen, schwarzstieligen, stark duftenden Pilze,