Heft 
(1912) 20
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lß4 26. (9. ordentliche) Versammlung des XIX, Vereinsjahres.

daß dies so verwunderlich aus so verschiedengearteten Dingen, wie Schinken und saurem Aal, Klößen und süßen Birnen, und was sonst noch hineingehört, zusammengekochte Gericht mit den 27 Kräutern (d. h. 3 mal 9) eine heilige Suppe ist. Die jetzt noch sie umwehende Feierlichkeit der echte Hamburger rüstet sich nicht nur durch das Kockausziehen zu dieser großen Tat wird meist nur auf die erheb­lichen Umstände der Hausfrau gesetzt und darauf, daß es doch ordent­lich Mühe macht, dies gute Essen mitten in der Sommerzeit in der üblichen Menge und mit dem nötigen Genuß zu essen.

Also aus dieser Suppe, die durch die Zahl neun und die sonstige Zusammenstellung der 3X9 Kräuter ihren ehemals geweihten Charakter verrät, ist die Nessel verschwunden, dagegen finden wir sie neben Schweden, wo sie früher sogar kultiviert wurde (Langethal, Handbuch d. landw. Pflanzenkunde, 5te Autl. Berlin 1874, 8° III S. 94), auch in England sowohl als Fastengericht bei Sam. Pepys (Diary. ed. Wheatley, Lond. 1897 8° I S. 352) um 1600, wie auch um 1400 in den Gärten und auf dem Markte zum Verkauf ausgeboten (Rogers, Statistical Soc. Journal 1864, S. 75 als kultiviert bei Leunis § 602,1 S. 977).

Ebenso scheint man um 1750 in Schottland vielfach die Nessel ge­gessen zu haben, denn sie erscheint vor den Karotten, Zwiebeln und Wurzeln, die erst später im Jahre gegessen werden (Rogers Social life in Scotland, Edinburgh 1884 8° I S. 235).

Der Weichselwerder ist aber nicht das östlichste Gebiet des Nessel­gerichtes, denn noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aßen die Deutschen in St. Petersburg Nesseln zu Gründonnerstag (Gretsch Nikolai, Ausflug eines Russen nach Deutschland. Lpzg. 1831 8° S. 131), Ebenso machten es ganz im Westen die alten Elsässer, wo um 1600 die Nessel mit Veilchen gemischt das Frühlingsgemüse bildete (Görard, ancienne Alsace ä la table. Paris 1877 8° S. 11) Doch auch Goethe, der Mitteldeutsche, mußte etwas davon wissen, denn in der Neu­bearbeitung des Fausts (Erich Schmidt, Weimar 1887 8° S. 13 v . 312) rät Mephistopheles (für Leipzig ?) den jungen Studenten an:

Statt Hopfenkeim und jung Gemiis

Genießen mit Dank Brennessel süß

wobei wohl freilich gleich hervortritt, daß Goethe wohl selbst niemals Nesseln probierte, denn gar so schlimm, wie dieser Hohn sie stempeln will, ist sie doch nicht. Wer es einmal probieren mag, wird sie allein oder mit Spinat vermischt als ein ganz gutes Gericht, wenigsteus so lange sie jung ist, kennen, vielleicht gar schätzen lernen.

Hatte die Nessel in den bisher genannten Gegenden einen bestimmten Tag, zu dem sie auf dem Tisch erschien, so spielt sie gelegentlich noch eine andere Rolle, nämlich die als Notnahrung bei einer der ja häufig