20. (9. ordentliche) Versammlung des XIX. Vereinsjahres.
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vorkommenden Hungersnöte. Schon Aristophanes (Ritter v. 422) weiß davon zu berichten und unsere Voreltern kannten sie in Oesterreich und in Bayern, wo aus Kleie und Nesseln Knödel für solche Notzeiten z. B. 1761 62 gebacken wurden (Pezzl, Reise in den bayrischen Kreis Salzburg 1761) und im badischen Lande, wo uns ein Klosterpater 1686 erzählt: „Als Nesseln und Gras hervorgekommen, haben sie ein wenig Erquickung davon erlangt“ (Pater Burster bei Jos. Bader. Das badische Land und Volk I Freibg. 1858 8° S. 64). Das ist auch ein Bild zu den Schrecknissen des 30jährigen Krieges. Ist hier wohl eigentlich das Gras als die traurigere Nahrung gedacht und unsere Nessel wohl auch in ihren späteren, nicht so schmackhaften Sommerstadien, so fügt unser norddeutsches Märchen dem Nesselgemüse noch einen Zug hinzu der es geschmacklos und so märchenhaft genug gestalten soll. Sowohl die Königstochter wie auch die Jungfer Maleen, die 7 Jahre im Turm eingesperrt sind, nähren sich beide während dieser Zeit von rohen Nesseln (W. Wisser, Wat Grotmoder verteilt, N. F. Ostholsteinische Volksmärchen. Möllenhoff, Sagen aus Schleswig-Holstein, Kiel 1845, S. 393. Grimm, Kinder- und Hausmärchen, Bibliotheksausgabe,
Berlin 1888 8" II S. 198. S. 332 333).
Ist nun diese letzte Nahrung wohl etwas, von dem uns nur die schönen Geschichten erzählen dürfen, die beginnen „Es war einmal“ so ist es etwas anderes mit der Nessel, unserem richtigen Frühlingsgericht. Manch einem wird es wohl Freude bereiten, mit festen Lederhandschuhen bewehrt, hinauszuziehen, um sich selbst zum Gründonnerstag das altehrwürdige Gericht von den Feldern oder aus dem Walde zu holen. Für die nächste Umgebung Berlins kann ich dann gleich darauf aufmerksam machen, daß die Nessel im Grunewald stets in Gemeinschaft mit der stolzen Eiche auftritt. Wo immer dieser dem Donar geheiligte Baum wächst, da auch die Nessel, und wo wir einmal mitten im Walde ein kleines Dickicht der Nessel antretfen, da finden wir auch die Spuren, daß ehemals der stolze König des Waldes sie schirmte und schützte und ihr den, wie es scheint, nötigen Tropfenfall verschaffte.
Auf die Rolle unsererNessel als Gespinstpflanze im Märchen, und in alter und neuer und neuester Zeit einzugehen, hat hier keinen Zweck, da dieserGe- braucli als Nutzpflanze nicht mit dem Gründonnerstag zusammengehört.
Essen wir nun heute auch nicht mehr die Nessel zum Gedenken des rotbärtigen Donnergottes, der dafür alsdann unser Haus das ganze Jahr mit seinem Blitz verschont hätte, so kann ich doch ein recht originelles und manchem Geschmack auch zusagendes Gemüse versprechen.
Vor dem Zubereiten empfiehlt es sich, die Nessel recht gründlich einzuwässern. Einmal ist das gut, da sie sich oft von ihrem Standort viel Staub und Sand mitbringt. Dann aber verliert sie im Wasser die Kraft des Nesselns und wenn es auch von den alten Ärzten als recht