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26. (9. ordentliche) Versammlung des XIX. Vereinsjabres.
Romantik zu kehren schien, fand in ihm einen temperamentvollen Vertreter. Mit achtzehn Jahren hat er schon eine Zeitschrift gegründet. Mit fröhlicher Selbstverständlichkeit ging er allen möglichen Größen und Mächten kritisch zu Leibe, schrieb seine „Ästhetischen Feldzüge“ und machte sich durch Romane bekannt. Sein erster Roman — er schrieb ihn mit 22 Jahren — ist heute wieder stofflich „aktuell“ geworden. Denn „Maha Guru“ spielt im damals verschlossenen Lande Tibet, das neuerdings so viel von sich reden gemacht hat. Und es ist kein bloßer „Kostümroman“, obwohl Gutzkow seine politischen Anschauungen unter orientalischer Maske zu verkünden, keinen Anstand nahm. Vielmehr zeugt es von gar nicht unbedeutenden Quellenstudien, und die Jugendlichkeit des Autors schenkt ihm etwas Dichterisches. Manchmal trifft er unversehens den putzigen Zeremonialton von „Tausendundeine Nacht“.
„Wally, die Zweiflerin“, Gutzkows zweiter Roman, war als Zeitbild gedacht, als ein modernes Sittengemälde. Auch wirkliche Dichter hatten zuweilen an Zeitereignisse angeknüpft, es wäre darum ungerecht, wollte man es Gutzkow zum Vorwurf machen, daß er den Selbstmord der Charlotte Stieglitz mit eigenen Kindrücken und Erlebnissen verwebte. Das Buch wurde als unsittlich gebrandmarkt und trug dem Verfasserdrei Monate Gefängnis ein. Aber er verfügte über die ersten Verleger, und sein Ruhm wuchs mit verblüffender Schnelle. Eine Fülle von Erzählungen, Satiren, Essays, trug seinen Namen in alle Kreise. Der Telegraph, den er in Hamburg herausgab, sicherte ihm einen weitreichenden Einfluß.
Es folgte die Reihe der Dramen, er wurde Dramaturg am Dresdner Hoftheater, schrieb endlich nach vielen Kämpfen und Leiden in Frankfurt a. M. seine beiden mächtigen Hauptromane: „Die Ritter vom Geiste“ und „Der Zauberer von Rom“. Ein ungewöhnlicher Kopf hat hier sein Weltbild gestaltet, und nur die ungeheure Ausdehnung des Werkes entrückt es dem Interesse der ungeduldigen Gegenwart.
Je kritischer ein Schaffender ist, desto empfindlicher pflegt er gegen die Kritik anderer zu sein. Das konnte man an Gutzkow erleben. Eine schier fabelhafte Arbeitslast hatte die Reizbarkeit seiner Psyche gesteigert, und allerhand Sorgen und Aergernisse bedrängten ihn. Noch schuf er historische Romane, wie „Hohenschwangau“, und führte in den „Söhnen Pestalozzis“ das Kaspar-Hauser-Problem in die Literatur ein. Fiebernde Unruhe jagte den Vielangefeindeten, dem Aussprachen, Sichmitteilen, Vernommenwerdenmüssen innerster Lebensimpuls waren, von Ort zu Ort. Eine Brandkatastrophe zerstörte über Nacht das irdische Gehäuse eines Geistes, der selbst Flamme war.
Was Herr v. Dickinson hier in aller Kürze schildert, das hat in dem vorliegenden ersten Quartalsheft d. J. der Deutschen Rundschau, Karl Frenzei in einem Aufsatz „Karl Gutzkow. Zum hundertsten Geburtstag“