Heft 
(1892) 1
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Ueber das Verhältnis der Heimatkunde zur Geschichts- und Altertumskunde. 35

wohls Anerzogenes, dieses etwas den verborgenen Kräften der Natur gemäss dem Menschen Angeborenes. In seiner tiefen und naiven Ursprünglickeit steht das Heimatgefühl hoch über jeder Reflexion, redet es zur Seele wie mit dem Klange orphischer Urlaute, weckt es ein Echo, das dem goldenen Zeitalter zu entstammen scheint. Es ist kein ausschliessliches Eigentum des Menschengeschlechts. Dieses teilt es mit seinen Mitgeschöpfen. Was anders beseelt denn den Wandervogel, der heimgekehrt aus wärmerer Zone sein Nest im Hollunderbusch, unter dem Dachgiebel, auf der Sanddüne des weniger reizvollen Nordens doch alljährlich wieder aufsucht?

Bauen wir denn diesem Gefühl einen Herd, auf dem es, veredelt durch jedweden Aufschwung der Bildung und moralischen Verfeinerung, nicht nur als wärmende, nein auch als leuchtende Klamme brennen möge. Nicht die Materialien zur Kenntnis unseres Landes sind es, die uns mangeln werden. Im Gegenteil, unsere schreiblustige Zeit hat solche vermöge ihrer Tinten­ströme in schwer zu bewältigendem Maasse angehäuft. Des litterarisch Vor­handenen Prüfung und geschmackvolle Anordnung, seine Sichtung und ratio­nelle Verwertung, das auch ist für uns etwas Anzustrebendes.

Die Verkehrsmittel der Gegenwart erleichtern den Besuch selbst ent­fernterer und früher schwer zugänglicher Orte unseres Gebiets. Möge hiervon reichlicher und für die Heimatkunde erspriesslicher Gebrauch gemacht werden. Es bleiben noch viele Denkmäler der Geschichte, viele Überbleibsel aus dein Reiche einer einst gewaltigeren Natur zu registrieren und zu schildern. Ein Jeder von uns tliue dies nach dem ihm von seiner Geistesrichtung zuerkannten Maassstabe. Es bleibt auch übrig, die Stimme laut zu erheben gegen allzuoft sich geltend machenden Vandalismus hn Zerstören. Ich will nur daran er­innern, wie in Schlesien zwei Menschenalter hindurch kein merkwürdiger Baum geschlagen worden ist, ohne dass vorher über das pro und contra des Kalles die gewichtige Stimme von Professor Güppert, oft schirmend und er­haltend, gehört worden wäre. Solche Autorität ist beneidenswert. Suchen wir sie zu verdienen, nicht nur Bäumen, nein, in viel höherem Grade noch Bauwerken, Burgwällen, Hünengräbern, Steinlagerungen gegenüber.

Bald wird sich zeigen, ob die Hand des neugegründeten Vereins stark genug sein wird, sich segensreich über unser Brandenburg auszustrecken. Jenaclidem dies mehr oder weniger der Kall sein wird, werden wir den Dank unserer Mitbürger verdienen und uns der Zustimmung unseres eigenen besseren Selbst teilhaftig fühlen.

Nicht Allen geht es so gut wie uns. Nicht jeder Mensch, nicht jeder Volksstamm hat zur Stunde eine sichere Heimat, um die Spanne Zeit seines Erdenwallens in Kühe zu durchmessen, sein Haupt dermaleinst da, wo die Asche der Väter ruht, gleichfalls zum ewigen Schlummer niederzulegen. Voller Betrübnis sehen wir jenseit unserer östlichen Grenzen grosse Menschen­mengen von ihren Heimstätten ins Elend getrieben, weil Blutmischung, Mutter­sprache oder religiöses Dogma sie in Gegensatz gegen angebliche Staatsraison stellen sollen. Schenken wir, grade von unserem Standpunkt aus, diesen Eriedlosen ein verdoppeltes Mitleid, erfüllt von dem Wunsche, es möge ihnen auf fremder, aber freier Erde jenseits der grossen Wasser eine neue und

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