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Dr. C. Bolle, Der Schwan in der Mark
mutig melodischen Klange seiner Glockenstimme erfüllt. Beim' zahmen Havelschwan fällt mir der Ausspruch V. Hugo’s ein: „Anscheinend
frei sein und fühlen, dass die Flügel gelähmt sind, was kann wohl schlimmer sein!“ •
Das Joch, unter welches unser Schwan sein Haupt zu beugen hat, ist demütigendster Art. Bezahlt er den ihm zu Teil gewordenen Schutz der Gesetze nicht vielleicht allzu teuer? Fs scheint, er müsse instinktiv fühlen, wie gerade ihm nichts ferner liegt als der Gedanke, für einen Heros idealer Freiheitsliebe gelten zu sollen.
Ein Krüppel bleibt er sein Lebelang. Dies tritt sichtbar hervor, wenn er seiner Gewohnheit gemäss schwimmend die Flügel bläht. Das Reich der Lüfte öffnet sich ihm nicht mehr. Zu allererst kam ja behufs der Lähmung seiner Flugkraft für den kaum Herangewachsenen im grauen Jugendkleide die Amputation eines Flügelgelenks und zwar, weil Ordnung sein muss, stets des rechten. Dies bedeutet für das Schwanenvolk gewissermassen das staatlich Obligatorische, den trüben Beginn dessen, was sich höher dünkende Geschöpfe den Ernst des Lebens nennen. Da nun diese Fittich - Circumeision von den Fischersleuten, welchen ihre Vollziehung obliegt, — zwar soll der Schwanenmeister dabei zugegen sein, — meist in rohester Weise verrichtet wird, so sieht man infolge dessen die erbarmungswürdigen Wesen als wahre Jammerbilder tagelang am Ufer kauern, wo sie nicht selten, durch Blutverlust erschöpft, vom Fuchs überfallen und zerrissen werden.
Man versöhnt sich mit dieser vielleicht durch harte Notwendigkeit gebotenen Herabwürdigung unseres Lieblingsvogels nur durch den Gedanken, dass wir ohne eine solche wohl ganz ohne ihn sein würden; fast vollständige Ausrottung hätte sonst hier zu Lande den freigebliebenen Schwan längst getroffen. Er erkaufte eben sein Dasein durch das Opfer seiner Selbständigkeit. Sint ut sunt, aut non sint heisst es auch von den Schwänen. Übrigens bleibt ihnen ja noch Spielraum genug und unserem Auge beim Zuschauen wenigstens die Illusion der Freiheit. Es geht dabei wie mit vielen anderen Dingen: Man darf ihnen eben nicht allzu genau auf die Finger sehen.
Ob es einige Wenige sind? Jedenfalls nicht viele, die schlauer oder glücklicher als die Mehrzahl ihrer Jugendgenossen dem Einfangen entwischen und sich dadurch der allgemeinen Dienstpflicht entziehen. Diese allein führen fortan eine unabhängige, wenn auch nahezu vogelfreie Existenz, welche sich von der der wirklich wilden Rasse kaum mehr unterscheidet. Von ihnen soll später die Rede sein.
Es folgt nun für die Majorität — Brutschwäne des laufenden Sommers ausgenommen — der fortan jährlich wiederholte Tribut der federn- und Daunenlieferung an das Königliche Hofmarschallamt. Diesen zahlen die vermittelst langer Gänsehaken einzufangenden Vögel je nach