Moabit.
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den Bibelspruch Jes. 16,4 und noch mehr Buch Ruth cp. 1 sich zurechtdeutelten, indem sie solche Stellen auf das beim Einzug Vorgefundene Wort anwandten. Ich bin in früheren Lebensjahren, namentlich in der Zeit, wo ich als Berliner Dom-Kandidat ab und zu in Moabit zu thun hatte, solches Bibelgebrauchs aus dem Munde der Leute häufig inne geworden, übrigens ist bei Scherzreden, namentlich bei Toasten, ähnliches Verfahren bekanntlich allgemein beliebt.
Merkwürdig nur, dass kein derartiger Exeget bedachte, dass Jes. 16 eine „Massa“ d. i. eine Eluchweissagung, enthält, in welcher Ideal und Wirklichkeit einander grauenvoll entgegengestellt werden. Merkwürdig, dass keiner sich vergegenwärtigte, wie zwar Berg und Gefilde des biblischen Moab für Lot, für Naeini, wahrscheinlich auch für David eine vorübergehende Angst- und Not-Zufluchtstütte war, im Übrigen aber als ein Land der Sünde und des Grauens in den Augen der Israeliten dastand, von dem der ächte Jünger Mosis sich mit „grossem Zorn“ am liebsten abwandte.
II. Ein Gefühl von der „Ungastlichkeit Moabs“ mag jene franzüsichen Witzlinge und deren Nachtreter, welche die Erklärung „terre maudite“ ver- anlassten, angeweht haben. Sie waren ja keineswegs die liebenswürdigen Leute, welche man zum sehr gerechtfertigten Staunen der übrigen Brandenburger traditionell aus ihnen hat machen wollen, jene Refugiö’s und ihre Nachkommen. Was Willibald Alexis im „Kabanis“ von der „Kolonie“ witzig darstcllt, das kennen wir Alten nur zu sehr: die heillose Überhebung und Exclusivitüt jener verhätschelten Männlein und noch mehr Weiblein aus der „Kolonie“ in Berlin wie aller Orten, wo selbige eingenistet ward. Der grosse Schwamm der Bewegung 1870/71 musste erst über dieses Baroktum in unserm Vaterlande dahinfahren — und hat’s noch nicht ganz fortgewischt!
Sehr glaublich, dass eine leichte Zunge, welche La belle France mit den sumpf- und sandvollen Siedelflecken Brandenburgs, darunter Moabit, verglich, das geflügelte Wort „cette terre maudite“ den Winden preisgab; um vielleicht augenblicks von den Landeseingeborenen verholzt zu werden. Der — an die „Geusen“ unwillkürlich erinnernde — Ausdruck war gefallen und blieb!
III. Der richtige Weg ist nur flndbar durch Rückgang auf die Slaven- sprache; der Wegweiser dorthin ist der märkische Volkswitz. Diesem Schlaglicht ist seiner Zeit Dr. Jettmar in Potsdam bei seinen ersten Vermutungen gefolgt; demselben bin auch ich, geborener Potsdamer und früher viel von eigenen WanderfUssen umhergetragener Markwanderer, den Volksgeist und seine Sprachbildungen durchforschend, nachgegangen. Ich hege nebenbei den guten Glauben, dass auf diese meine Andeutungen hin mancher ältere Brandenburger sein Gedächtnis auffrischen wird.
1. Auch der Berliner Jargon sprach gleich dem allgemein märkischen früher nicht „Moabit“, vielmehr: „Mo-ja-bit“ und „Mo-cha-vit“. Die Bewohner hiessen: „Mojaviter“, nebenbei betitelt: „vermoste, infamigte Bande“. Offiziell lange „Moabit“ geschrieben, hiess jener Stadtteil dem Berliner unsrer Jugendzeit, und hiess dem Volke noch anno 1869: „Mochab“. Man achte auf den von der spitzen Berliner Zunge unvermerkt allmählich weggestossenen weichen Zwischenlaut „j“, bez. „ch“.