Heft 
(1892) 1
Seite
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Kleine Mitteilungen.

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ein Kaminrohr durch den vermauerten Treppenraum gelegt wurde; der Monarch aber schrltnkte seine (ienehmigung dahin ein, dass gerade nur das Loch zum Hindurchziehen des Rohres gebrochen würde, und dass sich Niemand unterstünde, das Innere des Hohlraumes der Treppe zu unter suchen. Nachmals hat sich eine Anzahl von Geschichtsfreundon an den Kaiser Friedrich als Kronprinzen wegen Erteilung der Erlaubnis zur Durch­suchung des geheimnisvollen Winkels gewendet. Dem aufgeklärten Prinzen verursachte die Bitte, die er als Kaiser wohl erfüllt haben dürfte, augen­scheinlich einige Verlegenheit, schliesslich zog er sich mit dem Bemerken aus der Sache, dass er leider die Erlaubnis nicht erteilen könne. Offenbar mochte er seinem Vater nicht mit einem bezüglichen Anträge kommen. So liegt die Sache noch im Dunkeln, bis ein preussischer Monarch selbst den Befehl zur Untersuchung der geheimnissvollen Treppe geben wird. Das sollte je eher je lieber geschehen. Finden wird man in dem Hohlraum ausser dem Staub vieler Jahrzehnte nichts, aber die unheimliche Gestalt der Weissen Frau, welche nun einmal nach dem Volksglauben in dem Treppenverliess spukt, wird von da ab gebannt sein, denn man darf wohl mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass die Schliessung der Treppe nur aus baulichen und konstruktiven Gründen erfolgt ist. Die Vermauerung einer eisernen Kamin­platte als Treppenverschluss im oberen Stockwerk, welche aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts stammt, und der Turmknopf mit der Wetterfahne von 1705 deuten darauf, dass erst damals die geheimnissvolle Treppe verschlossen wurde. Ferner wird uns Folgendes geschrieben. Nachdem in der Familie des Grossen Kurfürsten in Folge seiner zweiten Ehe mit der Prinzessin Doro­thea und der Bemühungen dieser, ihren eigenen Kindern einen Teil der brandenburgischen Lande zuzuwenden, arge Misshelligkeiten ausgebrochen waren, fand eine notdürftige Verständigung statt, welche während eines Jagd-Frühstücks auf Jagdschloss Grunewald noch weiter befestigt werden sollte. Als der Kurprinz, spätere König Friedrich I., auf Geheiss seiner Stief­mutter eine Tasse Chokolade erhalten und genossen, verfiel er plötzlich in Krämpfe und Ohnmacht. Jedenfalls handelte es sich bei dem sehr schwäch­lichen und nervösen Kurprinzen nur um einen heftigen Kolikanfall, im Volke aber wurde gemunkelt, die Kurfürstin Dorothea habe den ihr unbequemen Kurprinzen im Grunewald vergiften wollen.

Näher mit dem eigentlichen Geheimnis des Schlosses hängt die durch eingeweihte Kreise überlieferte Tradition zusammen, dass ein Mitglied des Herrscherhauses nach einem Jagdschmaus auf der verhängnisvollen steiner­nen Wendeltreppe im Weinrausch und Jähzorn einen Jagdkavalier erstochen habe. Man habe, um fatalen Erinnerungen in Zukunft vorzubeugen, die Treppe alsbald vermauern lassen. Der Volksmund fügt nun hinzu, der Tote sei auf der Treppe liegen geblieben und eingemauert worden. Wenn man die Treppe öffne, würde das Gerippe des Erschlagenen gefunden werden. Des­halb das strenge Verbot gegen die Erschliessung derselben. All diesem Gerede, welches Thatsächliches mit phantastischen Zusätzen vermengt und gerade deshalb schwer ausrottbar erscheint, dürfte ein Ende bereitet werden, wenn man die Treppe öffnen und deren Inhalt durch einwandfreie Zeugen untersuchen liesse.