Symbolische Rechtsaltertümer.
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um ein Machwerk späterer Zeit, wohl des 16. Jahrhunderts handele, da die jetzt wieder auf Grund archivaliseher Kritik hervorgesuchte älteste Bedeutung des Rolands als Sinnbild des Marktrechts*) in späterer Zeit fast überall vergessen war und der Roland, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, namentlich bei den Richtern und Rechtslehrern mehrere Jahrhunderte hindurch fast unbestritten, als Symbol des Blutbanns galt.
Die Gepflogenheit, Miniatur-Darstellungen, gleichsam als Erinnerungszeichen an die frühere Übung der Strafrechtspflege, bei oder in den Räumlichkeiten anzubringen, worin über Leben und Tot gerichtet wird, steht keineswegs vereinzelt da und möchte ich in dieser Beziehung an zwei recht beachtenswerte Rechts-Überlebsel: die Armsünder-Glöck- chen und die Miniatür-Gerichtslauben (die sogen, „hübschen Bäume“) erinnern.
Wer die grosse Gerichts-Glocke des Rats von Berlin betrachtet, welche sich im Märkischen Museum (unter Katalog B. IV. No. 2015) befindet**), mag sicli unschwer vorstellen, wie ergreifend ihr eherner, gewaltiger Schall wirkte, sintemal er ankündigte, dass über dem armen Sünder der Stab in der Gerichtslaube gebrochen und der Gerichtete dem Meister Hans mit Haut und Haar, mit Leib und Leben verfallen war. Bei ihrem sonoren, feierlichen Klange erbebte die Menge und manche Hand faltete sich zu einem Gebet, das den votn Leben zum Tode zu bringenden armen Sünder auf seinem letzten und schwersten Gange begleitete. Die preussische schrieb und die reichsdeutsche Strafgesetzgebung schreibt noch jetzt vor, dass nach Verkündigung des Totesurteils geläutet werden solle, bis die Hinrichtung vollstreckt worden ist. Ich habe drei dergleichen Enthauptungen, — die erste betraf Ilödel, den ersten Attentäter auf Kaiser Wilhelm 1., — im Moabiter Zellengefängnis beigewolmt. Statt der gewaltigen Glocke „bimmelte“ ein kleines unscheinbares Glöckchen***) in dünner und kläglicher Weise. Dies wimmernde Glöcklein ist nur noch eine abgeblasste Erinnerung an die mächtige Armsünderglocke des Mittelalters, ein in verkümmerter Form auf die Gegenwart überkommenes symbolisches Rechtsaltertum.
*) Vgl. Richard Schröder: Die Rolande Deutschlands, Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins 1890. S. 35 und Sello’s kritische in mehreren Aufsätzen enthaltenen Bemerkungen hiergegen.
**) Von dieser Armsünder-Glocke des Rats zu Berlin sind zu abergläubischen Zwecken — um sich vor Strafverfolgung zu schützen, um sich Geld zu verschaffen lind um Krankheiten zu heilen — viele Stückchen im Laufe langer Zeit abgebrochen worden. Noch jetzt machen sich abergläubische Personen bei diesem Sammlungsund Ausstellungsstück mit Vorliebe im Museum zu schaffen.
***) Über das Glockenläuten während der Hinrichtung ist der Aufsatz im Preuss. Justiz-Ministerial-Blatt 1858, S. 19, bemerkenswert.
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