Bericht Aber die Versammlung im Bürgersaale des Rathauses.
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die Sitte, sich zu Ostern zu beschenken immer neu, sie wird nie abgeschafft, nur umgemodelt und modernisiert werden. Sinnig ist es, dass man auch in der elegantesten Atrappen-Verkleidung bei uns in Berlin und an vielen Orten die alte Symbolik, den Osterhasen und das Osterei, aufrecht erhält. Der Osterhase bringt bei uns die Ostereier; Beides, Hase und Ei, Sinnbilder der Fruchtbarkeit und des Segens, deutet auf den Kultus derOstara, der Göttin des Frühlings, der Auferstehung des Naturlebens nach dem langen Wintertod. Doch muss man mit dem Darreichen des Ostereis vorsichtig sein; in Frankreich z. B. kennt man es nicht, und es würde geradezu für höchst unschicklich gelten, in Paris oder Rom einem jungen Mädchen ein symbolisches Ei zu überreichen.*)
In Neuvorpommern kennt man den Osterhasen nicht, dagegen hat man ein merkwürdiges Gebäck dort, den Osterwolf, über dessen Bedeutung ich im Jahrgang VII. des „Bär“ S. 395 gesprochen. Im Allgemeinen ist ferner die symbolische Bedeutung des Eis als Symbol des verborgenen und schlummernden Lebens wohl in allen Zeiten und allen Ländern verbreitet. Für alle klassischen Völker bezeugt es uns der naturphilosophische Spruch, den wir als Motto vorangestellt, bei den Römern ausserdem noch die Wendung ab ovo „vom Ei an“, d. h. vom Beginn an. Vollständig lautet dies geflügelte Wort: ab ovo ad malum und bedeutet „vom Ei bis zum Apfel“, indem der Römer die Mahlzeit mit Eiern begann und mit Obst beschloss, aber es verrät doch einen symbolischen Zug, dass das Mahl gerade typisch mit dem Ei beginnen musste.
Was ist die herrliche Phönix-Legende anderes, als der Kult des Ostereis und eine merkwürdige Vereinigung der Naturanschauung der Japetiten (Indogermanen pp.) mit der der Hamiten (Aegypter pp.)? Der Phönix, der mit seinem leuchtenden Gefieder, die Sonne selbst versinnbildlicht, stürzt sich sterbend (im Winter) anf die Erde; aus seinem Blute entsteht der junge Phönix (der Lenz). Das Junge hüllt den gestorbenen Phönix-Vater in ein Ei aus Weihrauch und Myrrhen, das es auf den Hauptaltar zu Heliopolis, der Sonnenstadt, niederlegt. Dies Ei, das geschwundene Sonnenjahr, begraben alsdann die Priester feierlich, im Frühling, wenn die Sonne in das Sternbild des Widders tritt. So beginnt mit dem neuen Sonnenjahr der neue Phönix sein Leben, und dieses Neujahrfest ist das Ostern, jenes mumifizierte Phönixei, das Osterei der Aegypter schon 5 bis 6000 Jahr vor der Jetztzeit.
Bunt schildert uns Plinius den Sonnenvogel, bunt sind aller Orten die Ostereier, die dem jungen Lenz und der neuen Sonne dargebracht werden. Dass in und bei Berlin die Ostereier mit Zwiebel-
*) Dass ich ganz neuerlich den Kultus des Ostereis und Osterhasen bis nach Süd-Italien, ja bis nach Tunesien in Nordafrika vorgedrungen beobachtet habe, ist von mir im Monats-Blatt, Jahrg. I. S. 228 auseinandergesetzt worden.