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(1894) 3
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Der Storch in der Mark.

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Der Storch ist, wenn nicht von Urbeginn, so doch vom ersten Auf- dännnern der Kultur an unserem Volke, und nicht dem allein, ein heiliger Vogel gewesen: dazu ein von jeher befreundeter, das Bild des Vaterlandes im sommerlichen Schmuck, unter Scenen von Glück und Frieden, ihm vergegenwärtigender. Während anderes grosses Federwild die Menschennähe flieht, vom Jäger oder Naturforscher aufgesucht sein will, tritt des Storches hellfarbige, weithin sichtbare Erscheinung in den Vordergrund der Anschauung für Jeden, der nur einfach die Augen dem bandschaftsbilde öffnet; so im Fluge, im Schreiten über Wiesenplan und Ackerscholle, wie im Ausrulm auf dem Dache. Eine Geschmeidigkeit des Naturells, wie sie wenigem anderen Geflügel, unter den Grösseren keinem innewohnt, verleiht seinen Seelenkräften etwas von dem, was wir ein Äquivalent menschlicher Bildungsfälligkeit nennen mögen. Er vermag ursprünglich ihm fremdartigen Zuständen sich anzubequemen, ja sogar unter ihrem Einfluss an Zahl zu wachsen. Er versucht es unter Verhältnissen auszuharren, welche Ursache des Verschwindens anderer, wohl noch sensitiver als er veranlagter Vogelgeschlechter waren Um seine trauliche Nachbarschaft darf Süddeutschland, sähst um soviel reicher mit Naturgaben ausgestattet, den Norden des Reiches beneiden.

Dort hat ihn fast allein der obere Lauf des Rheins in Menge aufzuweisen.

Man wird sich erinnern, wie Störche noch bei der letzten Belagerung Strassburgs mit als Opfer der Beschiessung genannt wurden. Selbst Thüringen wie denn Gebirgsland den Storch überall abzustossen scheint darf sich kaum in Wahrheit seines Besitzes rühmen. Erst in der baltischen Tiefebene tritt er, ganz so wie im tieferen Süden, wo Kleinasien und Spanien ihm besonders lieb sind, als regelmässiger Sommergast auf, ohne die nordwärts sie bespülende Ostsee anders als vereinzelt zu überschreiten. Unsere Mark ist so glücklich, ihn im reichem Maasse zu haben, wo immer sie es verstanden hat, ein so kostbares organisches Gut zu hüten. Nicht auf seine Naturgeschichte im Allge­meinen, nur auf einige Charakterzüge, die ihm hier abgelauscht werden konnten, will ich «Dlire Aufmerksamkeit heut hinlenken. In seiner Eigen­schaft als märkischer Vogeltypus, erbitte ich für den Storch Ihr ge­neigtes Ohr.

In ganz früher Zeit mag der Storch durch Vertilgung wimmelnder Reptilienbrut, namentlich der Schlangen, ein Culturfaktor bei uns ge­wesen sein. Dies war unstreitig ein Hauptgrund seiner Befreundung mit dein Menschen, welcher indess wohl angeborene psychische Dispo­sition entgegenkommen musste, ein Zug, durch den er sich von seinem, der Wildniss nie entfremdeten bronzefarbigen Vetter, dem viel selteneren schwarzen Storch, wesentlich unterscheidet. Die Anfänge dieser Dinge hüllen sich jedoch in tiefes Dunkel. Es ist zu bedauern, dass man sie längst, dass man sie allzusehr vergessen hat. Seine günstige Stellung zur