Issue 
(1894) 3
Page
41
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Per Storch in der Mark.

41

dafür aber hat er ihn in sein Herz geschlossen und tiefsinnige Ahnungen an ihn geknüpft. Findet er ja doch, heimkehrend am Abend um den Rauch eigener Hütte zu schauen, den Beleber der Gemaikung auf demselben Dache wieder, unter welchem sich für ihn Freude und Leid des häuslichen Daseins abspinnen. Was Wunder wenn da ein starkes schwer zerreissbares Band zwischen Beiden sicli geknüpft hat.

Wie lange es so gewesen, ist nicht leicht zu sagen. Viele Jahr­hunderte, wenn nicht Jahrtausende, sicherlich. Aber die Zeiten ändern sich. Nicht der Mensch allein, auch das Tier des Feldes, der Vogel der hohen Luftregion, unterliegen wechselndem Geschicke. Auch auf unseren Storch, sonst den privilegirten Klassen beigezählt, beginnt in der Gegen­wart der Druck des Daseins schwerer zu lasten. Welch Paradies muss einst, muss teilweis noch vor wenigen Jahrzehnten, die Mark Brandenburg für ihn gewesen sein. Luch und wilder Wiesewachs die Fülle und dazu unbegrenzte Gastfreundschaft des Menschen, der in ihm mehr noch als einen Freund, vielmehr den gottgesandten Glücksvogel, den vor Blitz­strahl und Feuer behütenden Schutzgeist seines Hauses zu sehen ge­wohnt war.

Gewiss hat der Storch nie mit dem Gefühl von Noahs Taube das Erdreich trockner werden sehen. Nicht ihm zu Liebe wurden Sümpfe entwässert, Ströme eingedämmt und nasse Äcker dränirt. Schlangen, sein Lieblingswild, sonst in geradezu erstaunlicher Menge unsere wasser­getränkten Fluren bevölkernd, sind kaum irgendwo noch in erklecklicher Zahl aufzutreiben; ebensowenig Eidechsen oder Blindschleichen. Darf es da Wunder nehmen, wenn Not den Bedrängten zwingt, dem Jäger hie und da ins Handwerk zu pfuschen, indem er an Häschen und jungen Rebhühnern sich vergreifend, seinen Hunger zu stillen sucht? Verfeindung und Ächtung, eine sichere Folge hiervon, fangen schon an, seine Reihen stark zu lichten. Bereits hat er etwas eingebüsst von jener Furchtlosigkeit, welche das Bewusstsein seiner Unverletzbarkeit dem Menschen gegenüber ihm eingeflösst hatte. Aber nicht den Waidmann allein wird er fortan zu scheuen haben, auch um die Intimität "mit seinem alten Freunde, dem Bauer, droht ihn eine nahe Zukunft zu bringen. Das was man Aufklärung nennt, schwächt nicht allein das Naturgefühl des schlichten Mannes, nein, es löst oft vollständig jene Bande, welche bisher dessen Psyche mit dem grossen All ausserhalb seiner Persönlichkeit verknüpften. Hat es nicht ausserdem noch die stark prosaisch ausgeprägte Tendenz 'den Menschen überhaupt mehr omnivor zu machen? Vermöge derselben werden von altersher über­lieferte Speisegesetze machtlos. Schon dürfte man auf dem Weg sein, ohne Rücksicht auf frühere Vorurtheile des Magens, selbst für Storch­fleisch eine schmackhafte Sauce zu erfinden.

Wehe dem Storch, sobald der Tag anbricht, wo ästhetisches

4