Issue 
(1894) 3
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Der Storch in der Mark.

Gefühl allein sein Schutz sein soll. Bei den Gebildeten Eigemitz, beim Volke stumpfe Gleichgültigkeit gegen äussere Eindrücke, bei Allen Ab­wendung von der Teilnahme an natürlichen Dingen, wirken ihm ent­gegen. Günstigen Falls wird ein für ihn übrig gebliebener schwacher Rest von Sympathie in den Köpfen der Landbewohner völlige Ausrottung verhindern, nicht aber einer bedeutenden Verminderung Vorbeugen können.

Leider, es muss ausgesprochen sein: inmitten der Verödung unseres Landes an lebendiger Naturwüchsigkeit, steht auch der Storch bereits im Zeichen des Niederganges.

Längst schon hat der Lärm ihn aus den grösseren Städten ver­trieben; bald wird auch das platte Land leerer von ihm werden, ja es ist das manchenorts schon geworden, obwohl hochcivilisirte Länder von älterer Gesittung als das unsere, Holland in erster Linie, sich ihn zahl­reich zu erhalten gewusst haben.

In einem Dorfe unfern Berlins, und wohl hier nicht allein, macht sich neuerdings die Ansicht geltend, der Storch trage seinen Jungen so viele Nattern, Mäuse, Maulwürfe und anderes Ungeziefer zu, dass er mit solchen, zufällig ihm entschlüpfenden kleinen Bestien ganze Gehöfte zu verpesten im Stande sei. Derartiges, wurde mir berichtet, sei vor nicht langer Zeit erst dem Priesterhofe daselbst zugestossen. Es habe demgemäss mit vorsätzlicher Zerstörung sämmtlicher Nester im Dorfe geendet. So wird, im Gegensatz zu den sonst vorwaltenden Traditionen wohlwollender Liebe für unseren Vogel, die Gegenwart «lesseiben auf einem Hause bereits als ein mehr als zweifelhafter Vorzug angesehen. Solche Meinung mag an einem Ort etwas für sich haben, der nicht fern J von, leider, zu vipern- oder, den Dialekt zu reden, addernreichen Wald­wiesen liegt.

Beweist sie aber nicht zugleich, wie sehr sich unser Landmann bereits von jenen, allerdings abergläubischen Vorstellungen frei zu machen beginnt, welche früher mehr wie einer Tierart, mehr wie einem Baum oder grösserem Feldstein den Nimbus der Unantastbarkeit liehen und so die Integrität der Natur mitten im Menschengewimmel wenigstens in etw'as wahrten. Mit Geliert müssen wir Lebewohl sagendem frommen Irrtum, der erhält und unser Haupt beugen vorkalter Wahr­heit die zerstöret.

Ich für mein Teil, möchte Schonung und Erhaltung unseres mär­kischen Ibis so warm als ich es vermag, befürworten und bitte Sie Alle in diesem Hörerkreise in gleichem Sinne, wo die Gelegenheit sich darbietet, eingreifen zu wollen.

Kann es denn eine reizvollere Zierde für die Dorfidylle geben, als das klappernde, rotschnablige Storchpaar mit seinen ihre Flugkraft prüfenden Jungen auf der Firste des grünbemoosten Strohdachs, ja jenes mehr und mehr verdrängten Strohdachs, das Poeten und Sommergäste