Issue 
(1894) 3
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Der Storch in der Mark.

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so sein- lieben, Landräte und Anitsvorsteher aber so sehr hassen? Kann eine passendere Staffage für die ernstere historische Scenerie unserer mittelalterlichen Backsteinarchitektur gedacht werden, a.ls das hochge­türmte, mitunter jahrhundertalte Storchnest auf wettergebräunter Zinne? So verschmelzen in unserer Vorstellung die Bilder harmlosen Naturlebens und uralter Vätersitte mit der Bedeutsamkeit geschichtlicher Erinnerungen.

Wie schön zeigt sich uns der Bau des stolzen und starken Vogels thronend auf der Baute des Menschen; ersterer selbst wieder als Fun­dament dienend für die, seinem Reisig eingefügten schwächeren Gemein­wesen der Sperlinge oder Schwalben; das Ganze gleichsam eine aufwärts sich verjüngende. Pyramide von Familienglück, sämmtliche Bestandteile zusammenstimmend in der Idee der zu schaffenden, zu befestigenden, zu verschönernden Heimstätte.

Mit diesem Gefühl begrüssen wir, abgesehen von der Unmittelbar­keit des malerischen Effekts, jedwedes Storchnest, sei es auf bescheidenem Dache, sei es auf den steingefugten Zeugen unserer Vergangenheit. Wir thun es, mögen wir nun durch den gothischen Thorbogen von Gransee schreiten, der vermauert gewesen war, weil einst der falsche Waldemar seinen später vervehmten Einzug durch ihn gehalten haben sollte oder zu den Warttürmen Bernaus emporschauen, auf deren Spitze Storchnester gleichsam balancirend schweben und wohl schon gestanden haben, als man den Hussitensturm siegreich zurückschlug. Wo anderwärts nicht viel­fach in gleicher Weise?

Sind ein paar verschluckte Häschen es wohl wert, ihrethalben den Anblick einer so stimmungsvollen, zum Heimatbilde nun einmal un­bedingt gehörenden Vogelgestalt für immer missen zu sollen? Eine warnende Sage will wissen, England sei der Störche verlustig gegangen, weil sie daselbst einstmals üble Behandlung erfuhren.

Wie voller Störche und Storchnester muss Altberlin zur Zeit, wo es für die Bewunderer der Jetztzeit nichts besseres als das grosse Dorf war, gewesen sein! Waren Rohrdächer drin vielleicht auch schon zur Seltenheit geworden, dieser Vogel nahm mit Ziegeldächern in wenig be­lebten Strassen vorlieb, ln der doch vornehmen Wilhelmstrasse soll es noch im Beginn unseres Säculums Storchnester gegeben haben. Die Gartenstadt, als welche sich Berlin damals darstellte, litt gern ein solches rus in nrbe und erfreute sich sogar daran. Als mutmasslich letztes intramurales Storchnest in unserer Mitte sei ein solches, das ich gern der Vergessenheit entreisse, im Garten des Hauses Bellealliance - Platz No. 8 erwähnt. Dasselbe stand nicht auf einem Dache, sondern auf einem Baum, woselbst es bis zum Jahr 1867 gedauert hat. Beim Bau eines Treibhauses dicht daneben, legten die Maurer eine Leiter an und machten sich mit den Nestjungen zu schaffen. Tags darauf wurden diese unten tot gefunden. Die Alten verliessen die Stätte, aber in den

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