Der Storch in der Mark.
45
Für Gemüther, die an lieblicher Kleinmalerei der Natur Gefallen finden, möchte ich von einem Storclmest erzählen, das auf einem Stallgebäude zu Hennigsdorf stand und durch seltene vegetative Dekorirung einen ungewöhnlich reizenden Anblick darbot. Ein mächtiger Epheu war an der Giebelwand emporgeklommen und hatte den Lorbeerglanz seiner Belaubung oben um die Niststätte, diese ganz umspinnend, ausgebreitet. Der Bau ist jetzt abgerissen, mit ihm auch das Nest fort. Nur in meiner Erinnerung lebt die wahrhaft köstliche Erscheinung, in dieser aber unvergesslich, weiter.
Welches waren die Wohnstätten des Storchs vor dem Einzuge des Menschen in das ungeheure Waldland Mitteleuropa’s? Man könnte annehmen, er sei Jenem aus milderem Klima nordwärts gefolgt; allein dies würde die Lösung des fraglichen Punktes nur um ein oder zwei Jahrtausende zurück verschieben. Glücklicher Weise sind wir im Stande die Sache genügend aufzuklären. Der Storch, der auch so etwas wie eine Geschichte hat, ist zweifelsohne ursprünglich ein Waldbewohner gewesen.
Ein Faktum von äusserst lebhaftem Interesse, welches ausserdem dartlmt wie hochwichtig Aufzeichnungen von verschwindenden Dingen der Natur sein können, wird hier an der Stelle sein. Es betrifft das Brüten von Störchen in grossen, den Reiherständen ähnlichen Waldkolonien in den Forsten der Spree wald region. Auch Ciconia alba erscheint demgemäss als ein zu Anbeginn dem Walde angehöriger Sumpfvogel, wie Ciconia nigra nie aufgehört hat, ein solcher zu sein.
Man verdankt die Feststellung dieser wie ein ferner Abglanz der Urzeit erscheinenden Thatsache dem Lehrer Herrn J. Stengel, welchem dafür nicht genug Erkenntlichkeit dargebracht werden kann. Erhalten wir ja doch durch ihn — und zwar gerade noch in elfter Stunde — einen ungeahnten Einblick in die primitiven Sitten des Storchs, eine Zeit zurückrufend wo noch keine Annäherung desselben an den Menschen stattgefunden.
„Vor etwa dreissig Jahren*) befanden sich bei Wendisch-Buchholz (Försterei Damm im Unterspreewald wo jetzt Gurkenland ist“) — Hört es, ihr Manen Hausmanns: Gurkenland! — „mehrere Storchkolonien.“ Es standen 8— 5 Nester auf einer Eiche und auf einer Horst 40—50 Nester. Mau schoss die Störche um ihr Fett als Stiefelschmiere zu benutzen. Das w'aren noch die Vernünftigsten, die derartige Gemetzel nur zur Gewinnung der Federn anstellten, wenn die Versuchung (cherchez la temme) etwa in Gestalt von Frau oder Schwiegermutter an sie herantrat. Ganze Kahnladungen, bis 35 Stück wohl meist junger, eben erst flügge gewordener Störche enthaltend, sind so in die Forsthäuser
*) Dies dürfte in den vierziger Jahren gewesen sein.