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Der Storch in der Mark.
gefahren worden. Wenn einer der Vögel aus der Mitte herausgeschossen war, rückten die Übrigen sogleich in Reihe und Glied zusammen; fort aber flog Keiner. Sie hätten sich bis auf den letzten Mann vertilgen lassen.“ Soweit Stengel.
Du armer Langbein! Das also war der Lohn für deine traditionelle Theilnahine an der Fortpflanzung des Menschengeschlechts, dass du mit dem eigenen Flaum die Kissen für Ehebetten und Kinderwiegen füllen helfen musstest! — Kein Wunder, wenn solch unwaidmännischer Schinderei gegenüber die Kolonien sich auflösten und wenn die Störche traurig und verzweifelnd, wie in Frankreich Michelet’s weltmüde Reiher, ihre Spreewaldasyle mit der immer noch gastfreundlicheren Erosa von auf Dungstätten und Kegelbahnen hinabschauenden Dächern vertauschten.
Und so haben Menschen gegen die Natur gesündigt! Aber macht man es zur Stunde noch aus Fischgeiz den Reiherständen gegenüber etwa anders?
„Bis vor einigen 20 Jahren, berichtet unser trefflich beobachtender Gewährsmann, Herr Stengel, weiter, versammelten sich die Zugstörche im Herbst, häufig in der K. Zooslaer Forst und hielten in Sehaaren von 80—100 Köpfen Nachtruhe auf den hohen Kiefern. Man sah, dass jeder Schaar auch einige schwarze Störche beigemischt waren.“
Unsere Berliner Störche, d. h. diejenigen der hauptstädtischen Bannmeile und Umgegend liebten als Rendez-vous vor dem Wegzuge vorzugsweis den Wiesenplan nah der faulen Spree zwischen Charlottenburg und Spandau. Hier hielten sie mit ziemlicher Pünktlichkeit das Datum des Stralower Fischzugs, den 24. August, inne, oft kaum weniger zahlreich als jene von Herrn Stengel Beobachteten des Händchens Zossen. Ob noch jetzt, wo die Wiesenflächen zwischen dem Getöse zweier Bockbrauereien und dem Qualm einer Stearin-Lichtzieherei eingezwängt liegen, vermag ich nicht zu sagen.
Nur einmal bin ich selbst so glücklich gewesen, den Nestbau eines weissen Storchs, seinerUrsitte ähnlich, im Walde gesehen zu haben und zwar geschah dies 1876, ebenfalls im unteren Spreewahl, wo ich einen solchen auf einer alten, stark Wipfeldürren Eiche, beim Forsthaus Pfuhl, unweit Schlepzig, antraf. Dass unser Vogel wenig später als um die Wende des vorigen Jahrhunderts in ähnlicher Weise die Sumpfwaldungen des Oderthals bewohnte, geht aus einer künstlerischen Darstellung in jener Gegend hervor. Zu Kunersdorf nämlich weist die Grabstätte des Grafen Itzenplitz reliefartig Eiche, Storch und Reiher noch als allegorische Sinnbilder des alten Oderbruchs vor dessen Entsumpfung auf.
Es zeigt also der Storch, unter dem fortschreitenden Einfluss der Kultur, gewissermassen ein Abbild dessen, was wir Menschen Historie nennen, wenn auch ungeschrieben und im Dämmerlicht der Jahrhunderte nur schwach Umrissen wahrnehmbar. Die aphoristischen Notizen, welche