Issue 
(1894) 3
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Der Storch in der Mark.

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ich vortrug, geben vermöge einzelner in ihnen erwähnten Züge Veranlassung, verschiedene Phasen im Dasein des Storchs bei uns zu erkennen. Eine Urzeit, hie und da spät erst ausklingend, zeigt ihn als Waldbewohner ko- lonienweis auf absterbenden, vom Blitz getroffenen, vom Sturm ver­stümmelten Eichen oder Buchen horstend. Der Mensch erscheint in dem sumpfigen Flachlande; allein lange, lange Zeit hindurch sind seine nie­deren Hütten ausser Stande, den mächtigen Vogel seinen Waldrevieren abspenstig zu machen. Überall, wo er in Deutschland lebt, ist er dem Menschen noch so wenig vertraut, dass im 7. Jahrhundert auf Befehl des Papstes Zacharias der heilige Bonifaz sich veranlasst sieht, den neu­bekehrten Germanen bei kirchlichen Strafen den Genuss des Storchwild- prets zu verbieten. Die primitive Holzarchitektur des Wendenvolkes, noch heut in den Blockhäusern des Spreewalds erkennbar, hat wahr­scheinlich der Giebelkrönung durch das Storchnest entbehrt. Erst mit der späteren deutschen Kolonisation mag eine zweite Epoche beginnen. Stattlichere Bauernhäuser, daneben die ragenden Backsteinbauten in den neuentstandenen Städten, die von Schlössern und Klöstern, veranlassen in gewiss langjähriger Folge den Storch mehr und mehr seine Waldburgen aufzugeben, sich dem Menschen zuzugesellen, der altlateinischer Pietät eingedenk, ihn mit offenen Armen aufnimmt und fortan als Verbündeten gegen feindliches Tierleben, wie auch als Schützling den Angriffen Stärkerer gegenüber, hegt. Bald ist fast jedwede Zinne der vielen Türme, von denen das Land starrt, nestgekrönt. Jetzt ist der Storch nicht nur Dörfler, sondern fast mehr noch Stadtbürger geworden. Die Wälder veröden von ihm. Wieder vollen Jahrhunderte vorüber. Die Städte wachsen, Geräusch und Qualm mehrt sich in ihnen. Sie verlieren allmälig, unter den märkischen Berlin voran, den Schmuck ihrer Storclmester. Es kommt die Zeit, wo die letzten geselligen Ansiedlungen im Forst erlöschen, weil die Ver­folgung wächst, man auch keine überständigen Waldriesen, deren der Vogel zum Nestbau bedarf, mehr dulden will. Unterdess sind nach und nach auch die Dörfer, ist überhaupt das Land, zu unerbittlicher Ausnutzung von Grund und Boden gezwungen, seiner Gesammtheit nach ungastlicher geworden. Ihm günstige Vorurteile schwänden mehr und mehr. Die Götterdämmerung des Storchs, seine fortschreitende Verminderung haben begonnen. Solcher Stand der Dinge charakterisirt für ihn die Gegenwart in der wir leben.

Immerhin ist zu glauben, es werde sothane capitis diminutio eine langsam sich vollziehende sein. Wahrscheinlich ist, dass in Anbetracht mancher vorteilhaft gebliebener Chancen wenigstens die blosse Existenz des weissen Storchs bei uns von dem selteneren schwarzen, der immer nur Waldvogel sein w r ollte, reden wir hier nicht keiner endgültigen Gefährdung entgegen gehen werde.

Unbedingt ist für das Heute eine starke Verminderung des Storchs