Issue 
(1894) 3
Page
49
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Der Storch in der Mark.

49

Grenze. Dort sind einige vollständig in niedersächsischer Art gebaute Dörfer mit mächtig grossen Bauerhäusern; Wohnungen und Ställe unter demselben gewaltigen Strohdach, der Giebel noch mit den echten Pferde­köpfen, Hengist und Horsas Zeichen, verziert. Vor allen zu nennen Dorf Mödlich. Dort stehen nicht selten zwei, mitunter drei Storchnester auf einer Dachfirst, eine Erscheinung die mich im Jahre 1876 sehr über­raschte und erfreute. Es sollen hier im 17. Jahrhundert niederländische Kolonisten durch einen Admiral oder General des grossen Kurfürsten angesiedelt worden sein und man meint, dass erst seitdem die Störche dort so häufig sind. Sie sollen aus dem, mit ihrer Rasse so gesegneten Holland, den Auswanderern gefolgt sein.

Freundliche Mythenbildung der unbewusst dichtenden Volksseele, wo finden wir dich nicht wieder?

Dem Ähnliches hat mir mein leider nicht mehr unter den Lebenden weilender Freund, Garteninspektor W. Lauche, früher einmal von seinem Geburtslande, dem nördlichen Zipfel der Altmark, nebst angrenzendem Hannover, erzählt, ln einem grossen Walde jener Gegend, der die Garbe heisst, sah er ausserdem noch den Storch in voller Wildniss, aber einzeln, auf alten Eichen horsten, primitive Brutstätten, wie sie auch Forstmänner in verschiedenen anderen Revieren der Mark, wenngleich selten, beobachtet zu haben versichern.

Raum und Zeit gestatten nicht mehr, heut vor Ihnen von der Rolle zu sprechen, welche dem Storch in der Mythen weit unseres Volkes zu­fällt. Mannigfache Reimsprüche, ihn betreffend, sind in Aller Munde. Nur will ich hervorheben, dass die gang und gäbe Auffassung des Storchs als Kinderbringer nicht über die Ostsee hinausreicht. Jenseit derselben, in Schweden, übernimmt an seiner Stelle der Schwan solch Amt eines Mehrers von Familienglück.

Der Storch wird hier zu Lande kaum anders als mit seinem über­all im Bereich deutscher Zunge üblichen Namen genannt. Man muss in die Kinderstube hinabsteigen, um ihn Klapperstorch heissen zu hören. Auf dem Lande nennt man ihn wohl auch Kneppner; beides Worte, die dem allbekannten klappernden Ton seiner Stimme entlehnt sind, mit welchem Dante, immer ernst und feierlich, im Gegensatz zu unserer gewohnten heiteren Auffassung so familiären Klanges, das Zähneklappern verdammter Seelen im Eiskeller seiner Hölle vergleicht. Nur in den Odergegenden der Mark vernimmt man bisweilen noch das urgermanische, in vielfachen Varianten auftretende Wort Adobar; (althochdeutsch, Odebero.) Und wo er anklopft bescheiden,

Der kluge Adebar,

Da war das Haus voller Freuden

So geht es noch alle Jahr.

(v. Eichendorff).