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Das Moabiter Fenn.
Unaufhaltsam dehnt sich von Jahr zu Jahr das Häusermeer der jüngstgeborenen unter den Millionenstädten Europas, deckt mit gleichförmigem Gepräge die vordem, trotz ihrer scheinbaren Eintönigkeit, so mannigfaltigen Züge im natürlichen Antlitz des Erdbodens, und nur wie ein verklungenes Märchen aus vergangenen Jugendtagen gemahnt den Wanderer, wenn anders er im raschen Getriebe des Strassenlebens dessen Acht hat, hier und da der Name einer Strasse an das, was einstens war.
Diese Erwägung mag als Beweggrund dienen, hier eines charakteristischen Überbleibsels aus einem Teil der Peripherie Berlins zu gedenken, welche im letzten Jahrzehnt einen aus dem ehemaligen Dorfe Moabit hervorgegangenen, mächtig aufstrebenden, Stadtteil sich verdoppeln sah, dessen Lebensanforderungen auch dieses letzte Stückchen Urnatur bald sein bescheidenes, anspruchloses Dasein wird opfern müssen.
Wenn man an der Apsis der herrlichen Dankeskirche auf dem Weddingplatz in die hier mündende Fennstrasse einlenkt, so wird zunächst nichts an den Ursprung dieses Namens erinnern; erst nach Überschreitung der Fennbrücke sowie der Eisenbahnbrücke zeigt sich rechts von wohlgepfiegten Gärten und Wiesen eingenommenes Terrain, unter dessen schattigem, von riesigen Weiden, Rüstern, Erlen und vereinzelten Obstbäumen gebildeten Baumbestand einige niedrige, von Strassen- und Eisenbahndamm weit überragte Wohnhäuschen ein beschauliches Dasein fristen. Unschwer und der Wahrheit entsprechend lässt sich der hier vor Augen liegende gedeihliche Pflanzenwuchs auf den Ursprung eines Fennes zurückführen, dessen mooriger Untergrund heute die fruchtbare Oase in der sandigen Umgebung bildet; setzen wir jedoch unsern Weg die hier in fast westlicher Richtung abgehende, links nur erst vereinzelte Bauten aufweisende, rechts durch einen Zaun gegen das Eisenbahnterrain, auf dem auch die soeben erwähnte Oase liegt, abgeschlossene Quitzowstrasse entlang fort bis zur Einmündung der von Süden kommenden, hier endenden Stromstrasse, so stehen wir vor dem wirklichen letzten Rest des sogenannten Moabiter Fenns, welches ehedem sich fast 1 Kilometer weit in ziemlich östlicher Richtung über die heutige Stendaler- und Stephanstrasse hinweg erstreckte. Mit seiner ungestörten vegetativen Üppigkeit in Schilf und Weidengebüsch kann er als letztes charakteristisches Merkmal der einstigen Physiognomie dieser Gegend gelten, als dieselbe, abwechselnd Wald, kahle Flugsandbildungen und sumpfige, nasse Stellen zeigend noch zu der fast bis zum Invalidenhause reichenden Jungfernhaide gehörte. Aus dieser Gegend ist dem Unterzeichneten, der dieselbe erst vor 18 Jahren in fast noch unbebautem, nur von wenigen, noch ungepflasterten Strassen durchzogenem Zustande kennen lernte, ein allen baupolizeilichen Vorschriften der Residenz spottendes und mit den ihm allmälig immer gefahrdrohender auf den Leib rückenden Miethskasernen mit seiner geradezu malerischen Wirkung im schreiendsten Gegensatz stehendes Wohnhäuschen, — richtiger Hütte — eines Gemüsegärtners, inmitten eines auf dem alten Fenn-