Kleine Mitteilungen.
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Zur Sprachkunde der Provinz Brandenburg.
1. In dem hiesigen Verein für Volkskunde fand am 23. April 1892 ein sehr anregender Vortrag des Dr. Kretschmer „Über den Berliner Volksdialekt und seine Niederdeutschen Elemente“ statt. Im Nachstehenden folgen wir einem Bericht der „Post“:
Wenn heute, begann der Vortragende, eine Dame in der guten Gesellschaft zu ihrem Tischnachbar sagen würde: „Jeben Sie mich mal det Brod rüber“, so würde die ganze Gesellschaft wahrscheinlich sehr bedenkliche Gesichter dazu machen. Und doch klinge für den der Sprachwissenschaft Kundigen „det“ keineswegs schlechter als „das“; denn „det“ sei durchaus keine vernachlässigte Form von „das“, wie man allgemein annehme, sondern eine durch die Entwicklung vollkommen berechtigte Eigentümlichkeit des Dialektes. Dass dieser Dialekt aber nicht mehr gesellschaftsfähig sei, liege mehr an den Menschen, als am Dialekte; denn nicht der Dialekt mache die Menschen gemein, sondern die Menschen hätten den Dialekt gemein gemacht. Allerdings sei der Berliner Dialekt nicht rein, sondern ein Mischgcricht von hoch- und niederdeutschen Elementen und infolgedessen habe er eigentlich auch keine Geschichte. Die Überlieferung erzähle zuerst von der slavischen Bevölkerung in der Mark, ein grossartiger German isierungsprozess habe den slavischen Ursprung in der Sprache fast vollständig verwischt. Die Gernm- nisierung sei zuerst durch Niedersachsen und Niederländer betrieben worden, später jedoch seien auch zahlreiche oberdeutsche Elemente, bayerische, pfälzische und thüringische von grossem Einfluss auf die Entwickelung der märkischen Volkssprache gewesen, die gens schon in früheren Zeiten in nicht besonders hohem Ansehen gestanden haben müsse, da schon 1622 Gottfried von Warnstedt in seiner historisch-politischen Beschreibung der Mark sich bewogen gefühlt habe, die Sprache seiner Heimat gegen den Vorwurf der Plattheit in Schutz zu nehmen. Von den ältesten Formen des Berliner Volksdialektes wisse man nur wenig, da die frühste vorhandene Chronik von Berlin erst aus dem Jahre 1484 stamme. Ein klares Bild von der Berliner Volkssprache aber gewann man erst aus den „Weihnachtsspielen“, die von den kleinen Hohenzollernprinzen aufgeführt zu werden pflegten und von denen die hiesige Königl. Bibliothek eine Aufzeichnung vom Jahre 1589 besitze. Hier erkenne man deutlich, wie der Berliner Dialekt sieh aus einer Verquickung hoch- und niederdeutscher Elemente entwickelt habe, und hier linde man schon zahlreiche, noch heute für die Berliner Mundart charakteristische Formen, wie „det“, „dat“, „ick“, „mein’ Vater sein Haus“, „Kinneken“ für Kindchen, „runger“ für runter etc. — Aus dem 18. Jahrhundert seien die Auslassungen eines Halberstädter Reiseschilderers über den Berliner Dialekt interessant, der beispielsweise Formen wie „spute Dir“ und „Ein Häppken“ erwähnt. Im Übrigen beschränke sich die Kenntnis der Berliner Mundart auf die Gegenwart, der übrigens in dieser Hinsicht noch viel zu thun bleibe. Der Vortragende verbreitete sich nunmehr über einzelne Eigentümlichkeiten des Berliner Dialekts, dessen meiste Formen übrigens auch in anderen ostdeutschen Mundarten zu finden seien, ebenso wie der sogenannte Berliner Humor durchaus nicht spezifisch berlinisch, sondern in der ganzen