112
Kleine Mitteilungen.
Mark verbreitet sei. Auch der Ostpreusse fahre ja mit Vorliebe „im zunem Wagen“, auch er sage "ja Kuchen“, wenn ihn jemand „piesacken* wolle. Den Gebrauch des j für g — eine jute jebratene Jans u. s. w. — und des scht für st und ts — Durscht, Wurscht, nischt — glaubt Herr Dr. Kretschmer auf den Einfluss rheinländischer Kolonisten zurückführen zu müssen. Das „dat“, „det“ und „des“ für das, das p für pf und das t für tz im Inlaut — Karpe, Schnuppen, Schnuteken, Spruten (Sprossen des Grünkohls) — komme auch in anderen niederdeutschen Mundarten vor. Charakteristischer für den Berliner Dialekt sei dagegen der Ersatz der Diphtonge durch Vokale, besonders der Gebrauch des ei. Stamme das ei aus dem Althochdeutschen, so verwandele der Berliner Dialekt es in ee, stamme es aber aus dem niederdeutschen i, so mache der Berliner wieder ei daraus. Also: Eeens, zwee - aber drei, niederdeutsch tri. Dieses Zurückübersetzen von niederdeutschen Elementen in hochdeutsche sei auch sonst bezeichnend für die Berliner Mundart. Eine sehr charakteristische Form hierfür sei z. B. „Mausike“. Das Musik klinge dem Berliner zu platt, deshalb stelle er den Diphtong au, den er hier analog mit Haus, plattdeutsch Hus vermute, wieder her und sage vornehm: Mausike. Zum Schluss erwähnte Herr Dr. Kretschmer noch das r, das dem Berliner grosse Schwierigkeiten bereite, für das sich aber bestimmte Regeln schwerlich finden lassen dürften. Die hierauf folgende sehr ausgedehnte Diskussion, an der sich unter andern auch die Herren Gymnasialdirektor Schwartz und Sanitätsrat Bartels beteiligten, brachte noch verschiedene Ergänzungen zu dem Vortrage. So über den Gebrauch des „mir“ und „mich“, dessen Fehlerhaftigkeit darauf zurückzuführen sein soll, dass die Niederdeutschen, welche Hochdeutsch lernen, sich zuerst nur eine Form einprägen und diese dann immer anwenden. In manchen Gegenden gebrauche man fast ausschliesslich „mich“, in Berlin hauptsächlich „mir“. Schon in den deutschen Briefen Friedrichs des Grossen zeige sich eine grosse Vorliebe für die Form „mir“. Es sei darin überhaupt nur zweimal „mich“ gebraucht, während man das „mir“ nahezu zweihundert Mal angewendet finde. Herr Direktor Schwartz weist noch darauf hin, dass wohl nicht die Kolonisation allein die deutschen Elemente in die märkische Volkssprache hineingetragen habe, dass vielmehr, wie an kürzlich aufgefundenen Denkmälern aus heidnischgermanischer Zeit zu erkennen sei, neben der slavischen auch eine, allerdings jahrhundertelang unterdrückte, deutsche Urbevölkerung in der Mark gehaust habe, in deren Sprache wohl der märkische Volksdialekt wurzele. Mit der sehr treffenden Bemerkung des Herrn Sanitätsrats Bartels, dass der heutige Berliner Dialekt überhaupt nicht mehr echt, sondern durch zahlreiche Einwanderer aus allen deutschen Gauen immer mehr und mehr verfälscht sei, schloss die Diskussion.
„Du“ und „Sie“ in Berlin In Berlin, aber auch überall da, wo die deutsche Zunge klingt, gebrauchen erwachsene Personen, sofern sie nicht in einem näheren verwandtschaftlichen Grade stehen, gegenseitig die Anrede „Sie“. Diese Regel zeigt aber in unserer Stadt mannigfache, durch langen Gebrauch befestigte Ausnahmen, die wiederum den seltsamsten Schwankungen unterworfen sind.