Kleine Mitteilungen.
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Es darf behauptet werden, dass das „Du“ in den arbeitenden Klassen überall da, wo sich „gleich und gleich gesellt“, angewendet wird; hinter „Aujust“ und „Willem“ oder „Fritze“ ein Sie zu hören, erscheint ausgeschlossen.
Wenn sich die Leute „vom Bau“, Fabrikarbeiter, Handwerker aller Art u. s. w. Du nennen, so ist diese Anrede doch auf eine gewisse Bekanntschaft gegründet, es würde einem in die Gesellschaft neu eintretenden Arbeiter arg verübelt werden, wenn er zu seinem Genossen ohne Weiteres Du sagen wollte. In der Kegel genügen aber wenige Tage, vielleicht auch nur Stunden, die Anrede „Sie“ zu beseitigen: erscheint der Angekommene ehrenhaft, und hat er Lebensart genug, etwas zu „schmeissen“, so erklingt es bald: „Bruderherz auf Du und Du.“
Der ehrenwerte Stand der Droschken- und Privatkutscher kennt das „Sie“ fast gar nicht, ebenso wenig wie die Tausende, welche des Königs bunten Rock getragen und Kameradschaft gepflegt haben. Das schützende Dach unserer Markthallen ist der Annäherung der einzelnen Verkäufer entschieden günstig gewesen, fast Alle nennen sich Du, auch die früher übel beleumundeten „Berliner Hökerinnen“ nehmen als nunmehrige Damen der Halle an der Verbrüderung teil; dass der Ton „unter sich“, wie auch gegen das kaufende Publikum bedeutend feiner und milder geworden ist, möge nur beiläufig bemerkt werden.
Dienstboten gebrauchen ohne weitere Einleitung unter einander das „Du“, obgleich es unter ihnen empfindsame Seelen giebt, die derartige Vertraulichkeiten mit Entrüstung zurückweisen. Gleichstehende weibliche Personen der arbeitenden Bevölkerung sind übrigens im Allgemeinen nicht leicht geneigt, sich zu duzen, bei Jünglingen und Männern ist dies viel eher der Fall. An dieser Stelle soll übrigens festgestellt werden, dass es in vielen Berliner Familien noch üblich ist, die Dienstboten mit Du anzureden. Fälle, wo solche Jahrzehnte im Hause walten und die unter ihren Augen herangewachsenen Söhne und Töchter der Herrschaft nach altpatriarchalischer Weise noch Du nennen, gehören dagegen zu den grössten Seltenheiten.
Nach altem Herkommen werden Schüler und Schülerinnen höherer Anstalten von einer bestimmten Klasse an mit „Sie“ ausgezeichnet, erfahrangs- mässig hat diese Maassnahme auf die Kinder im Allgemeinen einen günstigen Einfluss, manche derselben sind aber für eine solche Anrede durchaus unreif, und es fällt den Lehrenden oft recht schwer, unnütze Schlingel oder ungezogene und träge Schülerinnen mit Sie anzureden.
Wir erwähnen noch einen Gebrauch, der manchen unserer Leser gewiss fremd sein wird: in vielen Bürger-Familien sagen nämlich die Kinder zu ihren Eltern Sie; die Beteiligten behaupten, dass die ersteren durch jene Anrede zu grösserer Ehrerbietung und Ehrfurcht vor Vater und Mutter erzogen würden.
« Er“, „Ihr“ und „Wir“ in Berlin. Die Anrede mit „Er“, deren sich Friedrich der Grosse selbst gegen hochgestellte Offiziere und Beamte bediente, verschwand in Berlin mit dem Zopf, mit dem Fähnrichs-Sponton, mit der Spille (Kopfmütze) und dem geblümten Schlafrock, zwei Kleidungsstücken,
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