Heft 
(1894) 3
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Kleine Mitteilungen.

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dort befindlichen Walle Nachgrabungen zu veranstalten. Wie wir hören, sind diese von Erfolg gewesen und haben Scherben und Knochen zu Tage ge­fördert, die wie die ganze Anlage des Walles ergaben, dass wir es hier mit einem alten Walle aus der Zeit der Wenden zu thun haben; er ist noch gut erhalten und dem Kundigen leicht erkennbar. Dasselbe Resultat ergab eine Untersuchung des Walles bei der Reichen­felder Mühle in den Wilden Wiesen. Die noch vorhandenen Reste sind unbedeutend, weil schon viel von dem Walle abgetragen ist, wahrscheinlich damit die Wiesen in der Nähe mit dem Material erhöht würden. Auch scheint es, als ob wegen der aus den nahen Wiesen aufsteigenden Nebel der Wall nicht lange bewohnt gewesen ist. Wir haben also ganz nahe bei unserer Stadt Reste von zwei grossen Rundwällen, die in grauer Vorzeit von Wenden angelegt wurden und bewohnt waren.

Bis um 5 Uhr war die grösste Zahl der auswärtigen Besucher einge­troffen ; dieselbe belief sich nach der Präsenzliste auf 34 und es erfolgte nun zuerst die Besichtigung der Marienkirche unter Leitung des Herrn Baurats von Rutkowsky. Es war interessant, von den anwesenden Kunstkennern die Schönheiten dieses herrlichen Gotteshauses, welche wir nur in ihrer Gesamt­wirkung auf uns empfinden, in ihren Einzelheiten analysieren zu hören. Einig waren alle darin, dass die Kanzel, so schön sie auch als Einzelwerk immer sei, dem Stile nach zu dem Gebäude in reinster Gotliik nicht passe; Herr Superintendent Braune vertrat dem gegenüber die mehrseitig geteilte Ansicht, dass eine steinerne Kanzel im Style der Kirche doch wohl von zu kalter Wirkung sein würde. Grosses Interesse erregten die niederländischen Glasfenster aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, wenn auch bei der Restau- rirung derselben die Reihenfolge der einzelnen Bilder so verändert ist, dass man den Zusammenhang des Dargestellten nur schwer erkennen kann; auch die in einer Seitenkapelle vorhandene Bibliothek, welche Herr Superintendent Braune bereitwilligst zeigte, fand vielen Beifall, namentlich ein Missale mit Noten, die, wenn auch die Takteinteilung fehlt und die einzelnen Noten gleichwertig erscheinen, doch schon unser heutiges 5 Linien-System zeigen. Ein ebenfalls vorgezeigtes Theatrum Europaeum soll, weil es neben geogra­phischen Karten viele Schlachtpläne enthält, wie uns mitgeteilt wurde, von Offizieren vielfach besichtigt werden. Die Gäste waren bei ihrem Eintritt in die Kirche durch die gewaltigen Töne der Orgel begrüsst worden; das herr­liche Werk, dessen Klangwirkung für die Ausdehnung der Kirche beinahe für zu bedeutend erachtet wurde, fand ungeteilte Bewunderung; zum Schluss erfreute uns Herr Wiedemann noch durch zwei Orgel-Piècen, die, mit ge­wohnter Meisterschaft vorgetragen, von ausserordentlicher Wirkung waren.

Inzwischen war der Abend hcreingebrochen und nach kurzer Pause begann um 8 Uhr die Ecier des 650jährigen Jubiläums der Stadt durch einen Commers im Schützenhause. Der Saal desselben war bald über­füllt, so dass später Kommende in den Nebenräumen bleiben mussten; einen schönen Anblick in dem prächtig dekorierten Raume gewährte der reiche Damenflor, wie wir ihn sonst nur bei Bällen zu erblicken gewohnt sind. Nach Eröffnung des Commorses durch den Vorsitzenden Apothekenbesitzer von Knobelsdorff erscholl als erstes Allgemeines das Lied:Sind wir vereint