18. (9. ordentliche) Versammlung des VIII. Vereinsjahres.
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einem ähnlich nationalen Boden und seine Seele war zweifellos mehr von dem Heldentum Friedrichs als dem der Antike erfüllt. Seine Jugendeindrücke konnten wohl vorübergehend verblassen, aber niemals unterdrückt werden; sein scharf ausgeprägtes Märkertnm liess sich auch in der künstlerischen Anschauung nicht der idealen Antike opfern, sein realer, kerniger Sinn, der die Schönheit durchaus nicht entbehren mochte, trug kein Verlangen, sich in allgemeine Wahrheit®- und Schönheits- emptindung aufzulösen. Darin widerstand er selbst Göthe, der die Geister mit sich riss und Billigung fand, als er schrieb: „Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön“. Und Schadow antwortete: „Homeride sein zu wollen wenn man Göthe ist! hätte ich doch die Macht, diese unverzeihliche Bescheidenheit zu verbieten!“
Aber der Zeitgeist war stärker als die künstlerische Gesinnung unseres Meisters. Er dachte auch garnicht daran, sich dem neuen Geiste zu entziehen. Wie konnte das auch ein Künstler, begabt mit kräftigen Sinnen, gegenüber der Schönheit der Antike?! Frau Venus wird ja stets den unglücklichen Tannhäuser besiegen. Aber es ergab sich für Schadow hierdurch ein Zwiespalt in seiner ästhetischen Empfindung, der manchmal die Reinheit seiner künstlerischen Absichten trübte und der, mit den Jahren wachsend, namentlich in seine Reliefbehandlung etwas Schwankendes, Unfreies, Stilistisch - Unklares hineintrug. Schliesslich musste der Erfolg seiner Werke versagen und seiner schöpferischen Produktion ein vorzeitiges Ende bereitet werden.
Ich glaube Ihnen angedeutet zu haben, wie es kam, dass das verheissungsvolle Genie des Mannes nicht die grossen Erwartungen seiner Jugend erfüllte und aufhören musste, ohne sein Letztes und Höchstes zu geben. Seine künstlerische Laufbahn — so ehrenvoll sie auch war und so hoch man ihre Früchte schätzen muss — bietet doch nicht das Bild einer dauernd kühnen Aufwärtsbewegung gleichsam zur Sonne. Ihr fehlt die alles beherrschende Spitze, von der herab wir die gesamte Produktion Schadows bequem geniessend überschauen können. Eben darum ist die Aufgabe so schwer, ein grosszügiges einheitliches Bild dieser Thätigkeit zu geben — weit schwerer als z. B. von dem Schaffen seines berühmten Schülers und Zeitgenossen Christian Rauch. Obwohl nur 13 Jahre jünger als Schadow, allerdings später zur Selbständigkeit gereift, ist doch gerade die kurze Epoche, die zwischen der Studienreise beider nach Italien liegt, man darf sagen, entscheidend für die Wandlung des ästhetischen Geschmacks des Publikums, also für das Schicksal der europäischen Kunst überhaupt gewesen. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, wurde unserem Künstler seine geistige Frühreife verhängnisvoll. Anderenfalls hätte sich jene Wandlung in ihm ohne Hindernis vollzogen, wodurch er ohne Frage dauernd den Wünschen grösserer Kunstkreise entsprochen hätte.