Heft 
(1900) 9
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18. (9. ordentliche) Versammlung des VIII. Vereinejahres.

Um die schwierigen Bedingungen, unter denen sich seine Thätigkeit entfaltete, zu würdigen, ist es wohl nöthig, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Verheissungsvoll Hess sich, wie gesagt, seine erste Ent­wicklung an, ungeachtet der dürftigen Verhältnisse seiner Familie, die ihn, den Sohn eines Schneiders und einer Mutter bäuerlicher Herkunft, zwangen, auf der Knabenschule dem Zeichenunterricht zu entsagen, weil dieser extra bezahlt werden musste. Trotzdem wurde sein Talent früh entdeckt, anfgemuntert und auch gefördert. Wenn sich darauf der junge Schadow beklagte, dass sein Lehrherr ihm niemals ein Wort der Anerkennung spendete und dass ihn dies manchmal ganz mutlos machte, so erfuhr er doch das Gegenteil z. B. durch Madame Tassaert, seine Zeichenlehrerin, die ihn den eigenen Kindern als Muster empfahl. Jedenfalls war der Ausgang dieser Lehrzeit ein erfreulicher. Schon im Alter von 19 Jahren erhielt er, als Nachfolger von Godecharles, die mit einem festen Gehalt von 8(X) Thlrn. verbundene Gehilfenstelle bei Tassaert, der damals an den Denkmälern von Seidlitz und Keith für den Wilhelmsplatz arbeitete. Und eben damals schuf der Schüler sein erstes selbständiges plastisches Werk: die Büste der jugendlichen Gattin des Arztes Dr. Marcus Herz, einer stadtbekannten Schönheit jener Jahre. Es war eine echte Talentprobe dieses Portrait, das in seiner schlichten Anmut schon den künftigen Meister des Prinzessinnenpaares verrät, jener berühmten Marmorgruppe,die in ihrer ungesuchten Lieblichkeit und Natürlichkeit nichts mehr von der koketten Grazie der Frauengestalten der älteren Rokoko-Epoche besitzt.

Heimlich verlobt mit einem Mädchen aus Wien, verliess er, 21 Jahre alt, wie er uns erzählt, plötzlich seinen Posten:Lehrer, Pension, Eltern und alle Aussichten in Berlin aufgebend und flüchtete zu seinem Schwiegervater, dem reichen Wiener Hof-Juwelier Devidels, auf dessen Kosten sich das junge Paar sogleich nach Italien begab. So kam Schadow zwischen 1785 und 1787 nach Rom, zu einer Zeit, als allein Canova die strenge Richtung der Plastik repräsentierte und die Sterne eines Carstens und Berthel Thorwaldsen, die erst in den neunziger Jahren dorthin gelangten, noch nicht aufgegangen waren. Auch fehlte es damals noch an einem gesellschaftlichen Mittelpunkt in der Ewigen Stadt, der später, als Wilhelm von Humboldt preussischer Gesandter dort war und alle von Geist und Rang um sich vereinigte, den jungen Rauch so ungemein förderte.

Zwanzig Jahre früher stand Schadow auf diesem fremden Boden da, fast allein angewiesen auf seine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen, und wir glauben gern seinen Worten, dass er damals in den Museen des Vatikans und Kapitols, wo er seine meiste Zeit verbrachte, sehr oft nur wenige andere Künstler traf, zuweilen sogar ganz allein war. In Florenz hatten ihn zuvor die statuarischen Werke von Michelangelo