Heft 
(1900) 9
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18. (9. ordentliche) Versammlung des VIII. Vereinsjahres.

That damals, als mau Schadow bevorzugte, wenigstens Ehrenmitglied der Akademie der Künste ... So hatte unser Meister mit 24 Jahren den begehrtesten Platz in der Heimat sich erobert, denn ihm fiel jetzt auch die Praxis seines früheren Lehrherrn als reifer Apfel in den Schoss. Zunächst handelte es sicli um eine lohnende monumentale Auf­gabe, an deren mühevollen Vorbereitungen sich angeblich der alte Meister den Tod geholt haben soll. Es galt einem natürlichen Sohne König Friedrich Wilhelms II., dem im jugendlichen Alter von nur 8/a Jahren verstorbenen Grafen von der Mark ein Grabmal in der Dorotheenstädtischen Kirche zu setzen. Ein Plan für das Ganze war bereits ins Auge gefasst; er rührte von dem Maler Puhlmann, dem Galerieinspektor in Sanssouci, her und Tassaert sollte ihn ausführen. Es war hier in einer mehr malerisch als plastisch wirkenden Gruppe dargestellt, wie der unglückliche Knabe von dem Tode, einem geflügelten Greise, aus den Armen der Minerva, der Leiterin seiner Erziehung, ge­rissen und an das von den Parzen besetzte Thor der Unterwelt geschleppt wurde . . . Schadow verwarf die malerische Anordnung und gab der beschlossenen Idee jener Schilderung eine streng plastische Behandlung, einerseits, indem er die Scene des sich gegen den Tod sträubenden Knaben auf das Relief eines Sarkophags beschränkte, andererseits, in­dem er die Schicksalschwestern hoch oben in eine halbrunde Nische stellte. Auch gelang es ihm, die Erlaubnis zu erwirken; zwei der Parzen, die Lachesis und die Klotho rechts und links, jugendlich auf­zufassen und nur die unerbittliche Atropos in der Mitte, die den Lebens­faden zerreisst, als Greisin zu belassen. Das Ergreifendste ist aber die überlebensgrosse Figur des Knaben. Sie wirkt, wie aus antiker Em­pfindung geboren die Tod und Schlaf als Zwillinge, Kinder der Nacht, annahm und doch auch wiederum modern, als liege der Knabe so aufgebahrt, wie ihn die Hand des Todes beim kindlichen Waffenspiel eben hinstreckte. Der Helm mit einem Kissen dient dem Haupte als Pfühl; der kleiuen Hand ist die Waffe entfallen; das herab­geglittene antike Gewand lässt die knospigen Formen des Körpers halb enthüllt. Ohne jeden Hinweis auf den kirchlichen Glauben, liegt die fromme Wirkung dieses Grabmals in der erhabenen Ruhe und in dem Adel der Schönheit.

Unser Schadow, der märkische Preisträger der römischen Aka­demie, hatte auf klassischem Boden seine Zeit gut ausgenutzt und dort mehr gelernt als die andern Talente seines Alters. Frisch unter den Eindrücken der italienischen Studien und Erinnerungen entstand die mächtige Schöpfung, aus grauem und weissein Marmor liebevoll ge- meisselt, zwischen 1788. und 1791 in jenem Gotteshause. Sie hat ihn ohne Frage an die Spitze der plastischen Kräfte seines Vaterlandes gestellt. Nächst dem berühmten Stuttgarter Dannecker war Gottfried