Heft 
(1900) 9
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ßO 18. (0. ordentliche) Versammlung des VIII. Vereinsjahres.

mit welcher Ausdauer er seine geistige und technische Ausbildung durch­setzte. Die Figur der Königin im Mausoleum zu Charlottenburg ist das erste glänzende Resultat hiervon, und ist als merkwürdig anzuführen, dass seine folgenden Werke jenes noch übertreffen.

Die künstlerische Wirksamkeit Schadows verminderte sich indess dem Umfang nach durchaus nicht, aber seine grosse Kraft ward hundert­fach zersplittert: eine schwer übersehbare Zahl von Rüsten deutscher Männer und Frauen, von Edelleuten, Dichtern und Denkern, viele Reliefs an Berliner Bauten z. B. der Münze und dem Schadowhau.se, und selbst ein paar Denkmalsarbeiten geringeren Formats waren das Ergebnis der Thätigkeit seiner Werkstatt seit 180Ü. Man'scheint doch in dieser zweiten Epoche, die in Thorwaldsen den Phidias der Zeit erblickte, das Urteil gewonnen zu haben, dass Schadow als Charakteristiker in seiner plastischen Behandlung docli wohl besonders nur zum Portrait passe. Und in der That gehören die zahlreichen Belege dieser Gattung unbedingt zum Besten, was die meisselnde Kunst damals erzeugte. Dabei ist zu betonen, dass er die männlichen Typen genau so frisch und lebensvoll wie die weiblichen zu gestalten wusste.

Nur zwei Mal noch fand er Gelegenheit, sich stärker zu konzentrieren: einmal beiin Blücherdenkmal zu Rostock, das 18H) enthüllt wurde, und bald darauf, als er sein längst vorbereitetes Luther denk mal für Wittenberg vollenden durfte. So wohlwollend man sich zweifellos zu diesen allerdings beträchtlichen Werken stellen wird, lässt sich doch nicht verkennen, dass sein Blücherdenkmal keineswegs an das Berliner Standbild von Rauch, und die Lutherfigur, die noch dazu im Rahmen einer offenen gotischen Halle von Schinkel unvorteilhaft aufgerichtet ist, an die herrliche Statue des Reformators in Worms, die von Rietschel, dem Schüler Rauchs, herrührt, heranreichen. Aus seiner persönlichen Überzeugung heraus hat der Altmeister die beiden volkstümlichen Gestalten geschaffen, so wie ihr Bild in seinem Geiste lebte; aber es ist ihm, dem Zeitgenossen Chodowieckis, leider nicht gelungen, mit dem, was er hier als die Wahrheit seines eigenen Denkens und Empfindens gab, die dauernde Begeisterung der Nation zu finden d. h. den Vorstellungen von Blücher und Luther zu entsprechen, wie sie in der Phantasie der Nachwelt leben.

Mit dem Blücherdenkmal hat es übrigens durch die Teilnahme Göthes eine eigene Bewandtnis gehabt. Der Dichter gab nämlich die Idee des Ganzen an und machte sogar an den Skizzen, zumal an den Reliefs, seine Korrekturen. Schadow war solcher Beeinflussung nicht unzugänglich, und was ihm von so massgebender Seite empfohlen wurde, nahm er als seine eigene Überzeugung gern an. Das eben ist mit der Grund seiner auffälligen Stilschwankungen. Beim Blücherdenkmal ist er dadurch geradezu in einen Gegensatz zu seinen früheren Anschauungen geraten: