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3. (2. ordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjalires.
gefährliches, wildes Tier. So linden wir es in der Bibel z. B. im Psalm 22 Vers 22: „Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und errette mich von den Einhörnern“. Nicht ungeschickt wird dies in dem Verzweiflungs- kampf der südafrikanischen Buren auf die Übermacht der Engländer gedeutet, deren Wappenschildhalter der Löwe und, wie schon angedeutet, das Einhorn sind. Dies britische Einhorn stammt aus dem schottischen Wuppen, welches zwei Einhörner als Schildwächter anfweist.
Auch im deutschen Volksmärchen kommt das Einhorn noch als wildwütiges Untier vor, welches das tapfere und schlaue Schneiderlein gleichwohl einzufangen versteht. Im allgemeinen finden wir aber in der christlichen Legende das Einhorn, wenn auch immer noch als ein recht schnelles, so doch als ein sanftes Tier, das gejagt wird und sich zu seinem Schutz in den Schoss einer reinen Jungfrau flüchtet. Dass hierin eine auf Jesus Christus und die unbefleckte Empfängnis seiner göttlichen Mutter bezügliche Symbolik liegt, leuchtet sofort ein.
Cohn hat nun den glücklichen Versuch gemacht, in den verschiedenen Einhorn-Überlieferungen eine systematische Entwickelung nachzuweisen und nach verschiedenen Gesichtspunkten eine Einteilung zu geben. Er unterscheidet I. die antike Überlieferung, II. die Erzählung des Physiologus, der mittelalterlich-scholastischen Dogmatik, letztere nur ganz verschwindend mit Angaben über das Einhorn aus dem klassischen Altertum. Diese Erklärungen des Einhorns aus der Physiologus- und Bestiarien-Litteratur hängen vielmehr teils mit der Bibel, teils mit ägyptischen, teils eigentlich orientalischen Überlieferungen zusammen, die besonders durch die Kreuzzüge genährt worden sein mögen. Darnach ist das Einhorn ein kleines, sehr starkes Tier, einem Ziegenbock ähnlich mit einem narwalartigen Horn auf der Stirn. Ein Jäger kann es nicht allein erbeuten. Um es zu fangen, führt man dem Tier eine reine Jungfrau entgegen. Wenn dasselbe ihrer ansichtig wird, springt es in ihren Schoss; die Jungfrau besänftigt es, indem sie es liebkost und führt es in den Palast. Oder es flüchtet sich überhaupt vor dem Jäger in den Schoss der ruhig dasitzenden Jungfrau, so auf dem Brandenburger Teppich, oder es wird noch weiter verfolgt, verwundet, erlegt und sein Blut in einer Schale aufgefangen.
III. Die Deutung des Physiologus. Während die Kirchenväter durchgehends das starke, unüberwindliche oder das verderbliche Einhorn symbolisch erklären, wird in der Deutung des Physiologus das Hauptgewicht auf die Demütigung des Tieres vor der Jungfräulichkeit gelegt.
IV. Die sehr zahlreichen Kunstdarstellungen, welche sich an das Physiologus-Ifapitel vom Einhorn anschliessen, nehmen a) zuerst — in ihren ältesten Darstellungen — auf die Deutung desselben keine Rücksicht, sondern geben ein rein sinnliches Bild von der