Heft 
(1900) 9
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11. (7. ausserordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjnlires.

gewissermassen dem Grosskapital zum Trotz, auch völlig Unbemittelten eine angenehme und reichliche Existenz verschaffen können; jeder un­bemittelte deutsche Kunstarbeiter und Kleinhandwerker kann sich diese achtungswerte, intelligente Familie aus dem Lande unserer südlichsten Dreibundsgenossen nur in jeder Beziehung zum Muster nehmen.

Die in der Werkstätte von Bacigalupo hergestellten Musikwerke lassen sich im allgemeinen alsOrchestrions bezeichnen, d. h. als Instrumente, welche die Wiedergabe von Orchestermusik auf rein mechanische, maschinelle Weise bezwecken. Die grössten dieser Werke, welche sowohl in der äusseren Form, als auch in der inneren Ausrüstung der Orgel ähnlich sind, führen den Namen Orchester-Orgeln. Besichtigt wurde das für ein Etablissement in Ruhrort soeben fertiggestellte orgelähnliche Orchestrion, dessen Gehäuse 4 m breit und m hoch ist. Der Preis des Riesenwerkes kommt dem einer grösseren Kirchenorgel gleich (12 000 Mk.). Ein ähnliches Werk wird z. Z. von derselben Firma in Chemnitz aufgestellt. Die Ausstattung der Vorderfront des Gehäuses mit beweglichen Gliederpuppen, die das Spiel mit Arm-, Bein- und Kopf­bewegungen und Gesichtsverzerrungen taktmässig begleiten, sowie mit senkrechten, gewundenen Säulen, bei deren axialer Drehung durch optische Täuschung den Eindruck einer in Längsrichtung fortschreitenden Bewegung hervorgerufen werden soll, entspricht in ihrer ästhetischen Wirkung wohl ziemlich genau der Höhe des musikalischen Geschmackes derjenigen Kreise, auf welche die musikalischen Leistungen des Werkes Eindruck machen sollen.

Bekanntlich suchte man besonders im 18. Jahrhundert auch in der äusseren Ausstattung der Kirchenorgeln dem Geschmack des Publikums in ähnlicher Weiseentgegen zukommen, indem man allerlei Zimbel- sterne, Posaunenengel, sich drehende Sonnen, Tauben mit sich bewegenden Flügeln etc. anbrachte.

Wie bei Kirchen- und Konzertorgeln hat man auch beim Orchestrion drei Ilauptteile zu unterscheiden, das Pfeifenwerk, das -Windwerk (Gebläse) und die Gruppe der Vorrichtungen, . welche das Öffneu und Schliessen der Pfeifenventile während des Spieles bewirken (Regierwerk).

Das Pfeifen- und Windwerk entspricht vollkommen dem der Kirchenorgel. Auch hier kommen sowohl Lippenpfeifen, offene und gedeckte, als auch Zungenpfeifen (Rohrflöten, Schnarrpfeifen) zur An­wendung. Bei den Labial- oder Lippenpfeifen tritt, der Luftstrom durch den unteren Teil der Pfeife, den Kopf, ein, geht durch einen schmalen Spalt zwischen dem Unterlabium lind dem Kern, einer den Kopf oben abschliessenden dünnen meist wagerechten Platte, spaltet sich an der scharfen Schneide des Oberlabiums und gerät dabei in Schwingungen, durch welche im oberen Teil der Pfeife, demKörper, Luft Verdichtungen und Verdünnungen erzeugt werden, die sich durch das Medium der