Heft 
(1900) 9
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11.(7. ausserordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjahres.

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Luft bis zum Gehörorgan fortpflanzen und dort als Ton empfunden werden. Da in den oben verschlossenen (gedeckten odergedachten) Pfeifen die Luftwellen von dem Deckel zurückgeworfen werden, also denselben Weg noch einmal zurückzulegen haben, entspricht der Ton einer gedeckten Pfeife hinsichtlich seiner Höhe dem einer doppelt langen offenen Pfeife, d. h. er liegt genau eine Oktave tiefer.

Es verstellt sich von selbst, dass beim Orchestrion, namentlich aber auch bei der kleineren Drehorgel, unserm vielgeliebten und viel­gehassten Leierkasten, dem Spatzen unter den Singvögeln, viele gedeckte Pfeifen zur Verwendung kommen, weil hier nur ein beschränkter Raum zur Verfügung steht. Aus demselben Grunde behilft man hier sich auch mit gekappten Pfeifen, d. h. man giebt dem Pfeifenkörper die Gestalt eines Winkels. Einige Pfeifen, selbst ITalbpfeifen, werden in dieser Weise sogar 23 mal gewinkelt. Eine hervorragende Rolle spielen beim Orchestrion die sogenannten Geigenstimmen, d. s. Pfeifen, bei denen der aus dem Spalt tretende Lufstronm durch eine schräg zur Pfeifenaxe gestellte dünne Messingplatte beeinflusst wird.

Bei den Zungeupfeifen tritt der Luftstrom durch eine kurze, an einer Seite offene Röhre ein, deren offene Seite von einem nur oben be­festigten, sehr elastischen Metallbändchen, der Zunge, bedeckt ist, die beim Anblasen in Vibration gerät und so die Schallwellen der Luft erzeugt.

Sämmtliche Pfeifen stehen auf der sogenannten Wiudlade, einem viereckigen Kasten, welchem durch den Blasebalg fortgesetzt komprimierte Luft zugeführt wird. Natürlich müssen alle Pfeifen durch Ventile ver­schlossen sein, weil sie sonst sämmtlich gleichzeitig ansprechen würden, sobald der Blasebalg in Tbätigkeit tritt. Während nun bei der Orgel das einzelne Pfeifenventil durch ein mehr oder minder kompliziertes Hebel­werk infolge des Druckes auf die Taste der Klaviatur geöffnet wird, er­folgt dieser Akt beim Orchestrion durch den Eintritt der atmosphärischen Luft in einen kleinen Kanal, in welchem vorher mit Hülfe einer winzigen Säugpumpe ein luftvei dünnter Raum erzeugt worden war. Der durch die Evakuierung bewirkte einseitige Luftdruck schliesst nämlich solange das Ventil der Pfeife, bis durch den Eintritt der äusseren Luft in den Kanal dieser einseitige Luftdruck aufgehoben wird, sodass nunmehr der Zug einer schwachen Messingspirale zur Geltung kommen und das Ventil der Pfeife öffnen kann. Selbstverständlich muss jede Pfeife ihren beson­deren Luftkanal, einen eigenen Evakuierungsbalg und ein besonderes Ventil haben. Sämtliche Kanäle sind nun an dem einen Ende dergestalt zu einer Reihe angeordnet, dass eine senkrechte Wand mit kleinen gleich hoch liegenden Öffnungen an der oberen Kante bilden. Über diese Kante läuft ein Papierstreifen mit kleinen Löchern, sodass die Öffnungen der Kanäle abwechselnd verschlossen oder freigelegt werden. Tritt ein Loch

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