Heft 
(1900) 9
Seite
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Kleinere Mitteilungen.

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bei .Biesenthal an der Försterei Schünholz entlang in nördlicher Richtung nach dem Liesenkriiz am Nonnenfliess hinzieht, führt uns genau an der Stelle, wo rechts der Weg von der Schneidemühle einmündet, an drei halbkugel­förmigen Hügeln vorüber, die im Volksmunde die Jungfernhügel oder Jungfern - grübcr heissen. Obgleich ihre Höhe nicht viel über 2 m betrügt, lenken sie doch durch ihre Gestalt, sowie durch ihre Lage zu einander die Aufmerksamkeit ohne weiteres auf sich. Die Verbindungslinien der Gipfelpunkte bilden fast ein gleichseitiges Dreieck von etwa 20 Schritt Seitenlange. Der grösste hat einen Durchmesser von 12 Schritt. Buchen und stämmige Kiefeim treiben die knorrigen Wurzeln tief in den gelben Sand des Bodens, und braunrote Blätter schweben leise nieder zum grünen Moosteppich, der seit Jahr­hunderten die stillen Gräber deckt. Hier ruhen, wie die Sage meldet, die letzten der frommen Schwestern des von Chorin aus gegründeten Klosters am Nonnenfliess. Jede erhielt ihren besonderen Hügel. Wo aber der Wagen, der die drei Toten durch den grünen Wald zur einsamen Grabstätte brachte, entlang fuhr, da sind rechts und links die Bäume verdorrt. Nicht weit von dieser Stelle hatte einst die eine der frommen Schwestern, die Liese, ein Holzkreuz am Fluss errichtet, zu welchem sie oft wandelte, um dort un­gestört ihr Gebet zu verrichten. Der Ort heisst daher noch heut das Liesen- kriiz. Auf 3 Seiten umfiiesst der murmelnde Bach das trauliche Plätzchen. Hoch steigen riesige Buchen hüben und drüben die steilen Thahvände hin­auf, und Waldvögelein singen in wogenden Wipfeln die alten Lieder. Das graue Holzkrcuz ist längst vermodert; aber das fühlt doch jeder, der von der Brücke zum schlängelnden Bache niederschaut: hier muss die Poesie daheim sein. Und so sind die Sagen, die dieses stille Plätzchen umweben, nur Ausdrucksformen, nur Zeugen des ergreifenden Eindrucks, den diese entzückende Waldeinsamkeit auf jedes Menschenherz ausübt. Der eine lässt hier die heilige Schwester betend niederknieen; der andere erzählt von dem Schäfer, der dort seine Braut, die Liese, erschlug; ein dritter weiss sogar, dass die böse That der Eifersucht entsprang; einem vierten hat man erzählt, dass dort das Pferd eines Bauern, der Holz aus dem Walde holen wollte, von einem stürzenden Buchenstamme erschlagen wurde. Er weiss ferner, dass das Pferd Liese hiess und dass der Baum dem Iiösslein das Kreuz zerbrach. Auch raunt die Sage von einer lüsternen Bauersfrau aus Freuden­berg, die sich mit ihrem Grossknecht einliess und die ihren Mann gern los sein mochte, um den jüngeren Knecht zu ehelichen. Als nun alle drei einst mit einer Kornladung zur alten Mühle am Nonnenfliess fuhren, fielen Frau und Knecht über den Mann her und erschlugen ihn. Weil aber der Bauer den Namen Kreuz führte und die Frau Liese hiess, hat man die Stelle Liesen- krüz genannt. Mancher will sogar das Holzkreuz noch mit eigenen Augen gesehen haben, das man dem Andenken der ermordeten Braut des Schäfers widmete. Und fragst du alle alten Holzfrauen und die Besingsweiblein: eine jede erzählt dir wohl eine andere Sage.

0. Monke, Berlin, 12. 10. 1899.