Heft 
(1900) 9
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10. (7. ordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjahres.

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die Richtung des Berliner Kunstlebens bestimmt. Die glänzende Ent­wicklung der Akademie der Wissenschaften, damals aus bescheidenen Anfängen erwachsend, fast nur von Leibniz Geiste erfüllt, der Kalender- Keforin und -herausgabe vor allem zugewandt, hat der königliche Gründer nur ahnend geschaut.

Die Vertreter der einzelnen Künste selbst finden wir sämtlich in engster Beziehung zum Hofe: in der Architektur Nehring und Eosander, unter den Bildhauern allen voran Andreas Schlüter, im Kupferstich den Holländer Peter Schenk und den Augsburger Johann Georg Wolfgang, durch seine voraufgehende Gefangenschaft in algerischer Haft eine den Berlinern auch sonst interessante Persönlichkeit, den Illustrator der Preussischen Krönungsgeschichte; die Maler Josef Werner aus Bern, den ersten Präsidenten der Akademie der Künste, und den durch den Freiherrn von Knyphausen aus Venedig nach Berlin gebrachten Franzosen Antoine Pesne. Die Musik fand eine bis dahin am brandenburgischen Hofe nie gekannte Pflege, durch die Königin selbst; bei längerem Aufenthalte in Paris mit der klassischen Musik der Franzosen vertraut geworden, ging sie ganz auf in dem Eifer für musikalische Aufführungen, vor allen in ihrer Lietzen- burger Residenz, wo sie persönlich vom Klavier aus Konzerte dirigierte, unterstützt von dem aus Bologna an den Königshof berufenen Attilio Ariosti, den der Volksmund zum Mönch gemacht hat. Auf ihre Ver­anlassung trat der damals 12jährige Händel zuerst an einem ihrer musikalischen Abende auf. Nicht minder fand das Theater an Sophie Charlotte eine eifrige und unermüdliche Gönnerin. Die rohen Spässe der auch in Berlin auftretenden wandernden Truppen de Scios und seiner Genossen verletzten empfindlich das feine Gefühl der durch die Hannoversche Musterbühne verwöhnten jungen Fürstin. Umso lieber erwirkte sie dem feingebildeten Magister Veltheim ein umfassendes Privileg, schützte ihn gegen die Anfeindungen des zelotischen Kantors von St. Nicolai und setzte auch ihren Einfluss dafür ein, dass einem hervorragenden Mitgliede des Theaters, dem Wiener Jacob Scheller, entgegen dem bisherigen Brauche bei seinem Tode ein ehrliches Be­gräbnis zu teil wurde. Je üppiger so ringsum die übrigen Künste auf­blühten, um so kümmerlicher gedieh die Poesie, mühsam gepflegt von Hofdichtern wie Canitz, Besser u. a., von denen der letztere jedoch als Verfasser der offiziellen preussischen Krönungsgeschichte auf anderem Gebiete sich rühmlich hervorthat.

ln diesem glänzenden Zeitalter, in diesem im besten Sinne aufgeklärten Kreise war kein Raum mehr für das kleinliche Konfessions­gezänk zwischen Kalvinisten und Lutheranern. An demselben Hofe, von dem einst ein Menschenalter früher Paul Gerhard der Glaubens­streitigkeiten wegen hatte weichen müssen, entwarf man jetzt unter der begeisterten Unterstützung der ersten Männer wie Leibniz und Thomasius

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