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Eine verschollene Getreideart.
über den warmen und heissen Gürtel beider Halbkugeln verbreitet, stellenweise z. B. in Texas als Crop-grass eins der lästigsten Unkräuter.
Es knüpft sich an diese Pflanze eine eigentümliche Überlieferung. Der im 16. Jahrhundert hochangesehene Botaniker Pierandrea Mattioli (Matthiolus + 1577), ein geborener Italiener aus Siena, der aber den grössten Teil seines Lebens als hochfürstlicher und kaiserlicher Leibarzt in den österreichischen Erblanden, auch in der damaligen Residenz Prag zubrachte und dort das Hauptwerk seines Lebens auch in deutscher und böhmischer Sprache veröffentlicht hat, berichtet,r 1) dass sich Kinde die Ähren dieses Grases in die Nase stecken und wieder herausziehen, um eine Blutung hervorzurufen, weshalb dasselbe in seiner toskanischen Heimat Sanguinella genannt werde. Dieser kindische Unfug — denn als solchen muss man ihn doch wohl bezeichnen — hat sich bis auf die Gegenwart fortgepflanzt, denn wie mein Freund Treichel in seinen verdienstlichen Sammlungen aus Westpreussen berichtet,r 2) üben die Kinde in der Gegend von Marienburg denselben vermittelst der Blätter der Schafgarbe (Achillea Millefolium) aus. 3) Bedeutungsvoller aber ist, dass dieselbe Manipulation schon von Plinius von einer mindestens nahe verwandten, wenn nicht identischen Grasart erwähnt wird. Der römische Autor berichteth 4) von einem Gramen aculeatum , auc Dactylos genannt, welches an der Spitze des Halms fünf „aculeos“ trage, die man sich zusammengedreht in die Nase schiebe und wieder zurückziehe, um Blutung zu bewirken. Am wahrscheinlichsten ist hier wohl Cynodon Dactylon Rich. (für den ich den älteren Namen Dactylos officinalis Vill. in meiner Flora von Brandenburg, 2. Abt. 1864, S. 810, vorangestellt habe) gemeint, bei
1) Comment. in Dioscoridem Venetiis 1565, p. 999. Prof. Körnicke ist allerdings der auch mir berechtigt erscheinenden Meinung, dass diese Angabe sich auch bei Matthiolus (wie bei den früheren Schriftstellern Hermann von Neuenahr und Jean de la Ruelle (Ruellius) und dem etwas späteren Cesalpino (Caesalpinus) ursprünglich auf Dactylos officinalis gezogen habe und erst später von ihm auf Panicum sanguinala , das er in den ersten beiden Ausgaben des Kommentars noch nicht erwähnt, übertragen worden sei (briefl. Mitt.).
2) Mitteilungen aus der Pflanzenwelt, besonders für Westpreussen. III. Bericht über die 5. Vers, des Westpr. Bot. Zool. Vereins in Kulm 1882. Schriften d. Naturf. Ges. in Danzig N. F. V. Heft 4 (1883, S. 136).
3 ) Eine entferntere Analogie bietet der „scheinbare Stoizismus“ mit dem auch in hiesiger Gegend die Kinder auf dem Lande mit den Blättern des Klebkrauts (Galium Aparine) die Zunge blutig peitschen (Bolle, Bonplandia VI 1858, S. 398). Bei uns führt die Pflanze deshalb den Namen Zungenblut (Bolle, Brandenburgia III S. 299). In Schlesien führt die Pflanze den Namen Zungenpeitsche (Wimmer, Flora von Schlesien, 3. Heft (1857), S. 329).
4 ) Nat. Hist. XXIV. 119: Sunt qui et aculeatum gramen vocent trium generum: cum in cacumine aculei sunt plurimum quini, dactylon appellant: hos convolutos naribus inserunt extrahuntque sanguinis ciendi gratia.