Heft 
(1896) 4
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Eine verschollene Getreideart.

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worden ist. Da dies Gebiet früher auch wohl mindestens einen Teil unserer Provinz einschloss, in der vor einem Menschenalter die Er­innerung an seinen Anbau noch nicht völlig erloschen war, und da dasselbe noch heut in unmittelbarer Nähe unserer Südgrenze als Kultur­pflanze angetroffen wird, darf ich wohl an dieser Stelle auf die Geschichte und Verbreitung dieser verschollenen Getreideart auf welche neuerdings durch zwei der hervorragendsten unserer landwirtschaftlichen Botaniker,

Charakteristisch bleibt es aber, dass sich gerade bei dieser im Rückgang be­findlichen Getreideart diese archaische Verwendungsweise erhalten hat, die wir sonst fast nur noch auf primitiver Kulturstufe oder in grauer Vorzeit antreffen. Ich habe vor zwei Dezennien als Augenzeuge berichtet (Zeitschrift für Ethnologie etc. von Bastian und Hartmann, VIII. 1870, S. 351), dass in der Kleinen Oase in der Libyschen Wüste die Feldarbeiter noch heut die Körner aus unreifen, gerösteten Weizenähren verzehren, und beschrieben und abgebildet, wie das Feuer zu diesem Zwecke durch Reibung zweier Stücke einer trocknen Palmblattrippe erzeugt wird. In treffender Weise stellt mein hochgeehrteter Kollege Geheimrat Wittmack diese meine Beobachtung mit den uns in der Bibel überlieferten Sitten der ältesten Israeliten zusammen wie sie aus der in 3. Mose 2, 14 gegebenen Vorschrift zu erschliessen sind. (Nachrichten aus dem Klub der Landwirte von Berlin, No. 115. 1881. S. 778), Luther übersetzt diese Stelle folgendermassen ,,Willst Du aber ein Speisopfer dem Herrn thun von den ersten Früchten; sollst Du die Sangen am Feuer gedörrt klein zerstossen .... Da bei religiösen Gebräuchen die ältesten Sitten festgehalten zu werden pflegen, so irren wir wohl nicht in der Annahme, dass der Genuss unreifer, gerösteter und gröblich zerkleinerter Körner, bez. eines aus denselben gekochten Breis die ursprünglichste Benutzungsart der Getreidegräser gewesen ist, der erst später das regelrechte Mahlen der reifen Körner und die Bereitung von Brot folgten. Auch die Bluthirse, der eigentliche Gegenstand diesem Vortrages, wird in der Lausitz aus­schliesslich in der Form von Brei genossen.

Was endlich das jetzt in der Schriftsprache nicht mehr gebräuchliche Wort Sangen betrifft, so leitet Wittmack (a. a. O.) dasselbe vonsengen ab und versteht darunter Gesengtes, Gedörrtes; insofern mit Recht als auch Luther das Wort ebenso verstanden hat. Letzterer übersetzt damit 3. Mose 2, 14 das hebräische Wort abib, welches eigentlich Ähre bedeutet, Josua 5, 11 dagegen das hebräische kaluj (Ge­dörrtes); er supplirt also an jeder von beiden Stellen den an der anderen stehenden Begriff. Vielleicht hat er bei diesem willkürlichen Verfahren doch sachlich das Richtige getroffen. Objektiv betrachtet, ist indess diese Erklärung des Wortes Sangen nicht richtig. Das geht aus der folgenden Mitteilung des als Germanisten rühmlich bekannten Bibliothekars an der hiesigen Universitäts-Bibliothek Dr. W. Seel mann hervor, den ich darüber befragte und welchem ich für diese Aufklärung zu Dank rerpfiichtet bin. Derselbe schreibt:Die Belege und Nachweise, welche ich bezüglich des qu. Wortes in den verschiedensten Wörterbüchern und Idiotiken ge­funden habe, lassen keinen Zweifel übrig, dass gangeBüsche! und insbesondere Ährenbüschel bedeutet, ohne dass damit der Begriff der noch grünen oder anderseits der trocknen Ähre notwendig verbunden ist. In älterer Zeit wird das Wort jedoch mit Vorliebe für die noch nicht ausgereifte Ähre verwendet (grüne sangen etc.) Beweisend ist folgende Stelle aus dem Herbarius (Lübeck) 1483, die im mittelnieder­deutschen Wörterbuch angeführt ist: we unrype körne etet alse sangen, edder dat unrype gheernet is, dar af wassen spolworme in deme lyve.