Heft 
(1896) 4
Seite
125
Einzelbild herunterladen

Carl Bolle, Wendische Dämonen.

125

War der Aberglaube wirklich einmal so mächtig, und was zugestanden werden muss, so bösartiger Natur, dass es der Mühe lohnte, ihn mit den Waffen eines Thomasius zu bekämpfen, so trösten wir uns mit der Gewiss­heit: jene Zeiten sind, was unser Vaterland betrifft, längst vorüber. Was von solchen dunklen, zumeist der Nachtseite des menschlichen Fassungs­vermögens abgelauschten Wahrnehmungen blieb, ist schwacher Nachklang, melodisch leicht vertönende Erinnerung an oft sehr frühe Dinge und Zu­stände, in denen Wildheit und Kultur, diese noch heut nebeneinander fort­bestehenden Gegensätze, in ganz anderer Weise als gegenwärtig sich mischten. Es ist dies ein oft zerrissener, immer aber sich wiederanknüpfender Ariadne­faden, zurückleitend in die Urzeit der Vorväter und bei welchem die moderne Forschung jetzt vorzugsweise und so fruchtbringend zu verweilen liebt.

Einen hervorragenden Bestandteil dieses sogenannten Aberglaubens bildet die Lehre von den Dämonen, sagen wir lieber: das Wissenwollen von ihnen, das Bevölkern der Natur und ihrer Elemente, selbst noch zu einer Zeit die das WortElement zu einem Anachronismus gemacht hat, mit dem Geheimnisvollen und Übernatürlichen, dem vermöge unserer Sinne nur ausnahmsweise vielleicht "Wahrnehmbaren.

Die Kindheit, sei es diejenige der Völker- und Volksstämme, sei es die der Individuen, hängt am innigsten an solchen jetzt mehr und mehr ver­blassenden Bildern. Man muss sich beeilen, und man beeilt sich in der That fast überall, sie als schwerwiegend und für die Wissenschaft hoch­bedeutsam zu fixieren. Erfahrung hat gelehrt, dass man ihnen, trotz ihrer Allgegenwart, am besten nachspürt in entlegenen, lange dem Fortschritt der Kultur verschlossen gebliebenen Winkeln. Betrachten wir von diesem Ge­sichtspunkte aus heut einmal was bei den Kesten des polabischen Wenden­volks in der Lausitz, den Nachkommen jener Luitizer oder Wilzen, ♦inst Herren des Bodens den wir bewohnen, von solchen Wahngebilden übrig geblieben ist.

Wir verlassen damit durchaus nicht die märkische Scholle, ja kaum Berlin und seine Umgebung; denn selbst hier in dem Glanze höchstgesteigerter Civilisation, sind die Wurzeln des einst verhängnisvoll abgehauenen Baumes hie und da lebendig geblieben. Sie treiben ihre unterirdischen Sprossen durch Schutt und Humus der Jahrhunderte, noch bisweilen erkennbar in der Saftmischung des zum gigantischen Stamm emporgewachsenen Edel­reises, welches grössere Energie des Germanentums dem slavischen Wildling gewaltsam eingeimpft hat.

So hat ja auch derFluss, welcher unsere Mauern bespült, seinen Ursprung bei zur Stunde, noch andersredenden Leuten. Ist es zu verwundern, wenn der Dunst seines Wassers blutsverwandte Traditionen wach erhält, wenn seiner Strömung, gleich flutenden Rohrinseln, auch Fragmente des einst Gewesenen und Geglaubten immer und immer wieder uns zuführt? In der Redeweise des Berliners blitzen hie und da Worte auf, die den meisten un­bewusst, wilzisch geblieben sind. Auf unseren elegantesten Promenaden, im Schatten unserer Lusthaine wandelt oder sitzt zahlreich die wendische Amme, in bunter Tracht und blendend weissem Kopftuch. Der Säugling aus der Rasse der Sieger zieht erste Lebenssäfte aus Brüsten, die den Vertreterinnen