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Carl Bolle, Wendische Dämonen.
Vandalismus noch so sehr geschädigt haben, er bleibt trotzdem das Juwel unter den Landschaftsbildern unseres norddeutschen Flachlandes. Trotz allen Wüthens der Axt haben hier wenigstens die Wasserläufe ihren zum Teil gigantischen Baumwuchs bewahrt. Von fernher gesehen, rücken diese Galerien von Grün eng aneinander und der gern der Illusion sich hingebende Blick zaubert uns mit Leichtigkeit wieder in die Mitte einer noch jungfräulichen Waldszenerie zurück. Und nun die hunderte von Rinnsalen des um tausende kleiner Flussinseln herum sich spaltenden und diese um- spülenden Spreestroms, in denen Eiche, Erle und Fische, F'aulbnum und Lorbeerweide sich spiegeln — unter ihrem Laub die echt slavischcn Blockhäuser mit bemoosten Schilfdächern, deren Isolierung von einander ihren Insassen die unvertilgbare Vornehmheit des auf eigener Hufe allein Wohnenden erhalten hat. Dazu der Klang einer dem Ohr des Deutschen fremdlautenden, aber wohlklingenden Sprache, der eine zweite, die unsrige, sich zugescllcnd, den Übclstand des Unverstandenseins wegnimmt. Was bedarf es mehr um den Wanderer, der hier ein wassergetragener F'ahrgast wird, zu bezaubern?
Nicht immer standen dort, wie jetzt, Gasthbfe mit komfortabler Fällrichtung. Wie wild verwachsen lagen noch vor wenigen Jahrzehnten, namentlich zu Anfang des Jahrhunderts, diese Grenzgebiete zwischen Sachsen und ITeussen! Sie hatten in ihren tiefen Sümpfen, im Dunkel ihrer Haine, einst den Resten eines zertretenen und geächteten Volksstammcs zum Asyl gedient. Warum sollten nicht auch die Dämonen, gleichfalls Zurückweiehendc und Verfolgte, hier eine Zufluchtstätto haben? Warum sollte nicht auch der Geisterwelt jene Herberge der Wüste frommen, die dem Fllenn und dem Auerochsen hier bis ins 17. Jahrhundert hinein das Dasein hatte fristen helfen und die, länger noch, Wald und Fenn mit dem Natternzischen ungeheurer Schlangen erfüllte?! Und in der That, ein Heim der Dämonen oder Elementargeister und Spukgestalten ist der Spreewald geblieben fast bis auf den gegenwärtigen Tag, wie er ein Heim blieb der Rohrdommel und des Birkhuhns. Aus seinen mit Schilf gedeckten Hütten hatte einst der üppige Hof der Kurfürsten zu Dresden sich die Kräuterweiber und Hexen zu holen beliebt, wenn es galt, Liebeszauber zu knüpfen oder zu Ibsen. An dieser Stelle waren die Dämonen jederzeit zu Haus.
Wir sind arisch, antworteten sie dem, der sie frug: ob germanisch oder slavisch; unsere Geburtsstätte lag im alten Urlande hinter den Schneebergen des Himalaya. Oder aber: Wir gehören der Menschheit an, wenn man Nachdruck darauf legen wollte, wie sehr der F’eldteufel Lilith, semitischer Tradition, der I’schesponiza und diese wieder einer alternden Demeter gleicht. Lieber noch als der Harz voll düsterer Tannen, mit seinem hexenumtanzten Brockengipfel, lieber noch als alle Zauberwinkel und Wolfsschluchten des hussitisehen Böhmens oder des dem Triglav geweihten Kassubenlandes, lieber noch als die Kreideklippen der Rtigensclien Küste, vom Stechpalmlaub immergrün, wo einst auf Arkona das hehre Bild Swantewits gestanden, blieb jederzeit dieser Spreewald dem luftigen, von der Kirche geächteten Geistergesindel.
Schauen wir uns dasselbe wenigstens in einigen seiner Gliederungen an.
Das Wasser herrscht vor im Spreewalde. Es unirieselt allerorten die bebaute wie die wild umbuschte Scholle und quillt aus dem nassen Boden.