Heft 
(1896) 4
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Carl Bolle, Wendische Dämonen.

meist anf Bau und Zubereitung des Flachses Bezug haben. Den hei der Prüfung schlecht Bestehenden schneidet sie einfach mit der Sichel den Kopf ab. Wen der Sonnenstich beflillt, der erleidet den Tod durch Gehirn­entzündung.

Man erzählt, eine Frau habe sich einmal vorgenommen des Mittags auf dem Felde auszuharren und der Pschesponiza, wenn sie komme, Kede zu stehen. Beim Flachswieten hörte sic die Schritte der Mittagsfrau und das starknervige Weib stand nicht an, eine volle Stunde lang mit ihr über Flachs zu diskurrieren. Hoffen wir, dass jene klug genug war, davon nicht mehr wissen zu wollen als ihre gestrenge Examinatorin. Beim Schlag der zwölften Stunde war ihr Redefluss noch nicht versiegt. Da musste die Pschesponiza von solcher Redseligkeit überwunden, abziehen und kam niemals wieder.

Eine Verwandte der Pschesponiza ist die Serpolniza, über die wir indess schweigen, weil gewisse erotische Neigungen dieses jungen Leuten gefährlichen Waldgcspenstcs von der Feder II. Ileines gewiss glücklicher behandelt worden wären, als von der Schüchternheit der unsrigen in strenger denkender Zeit.

Eins der geheimnisvollsten und anziehendsten Wesen ist und wird immer die Bo/awoss bleiben. Ihr Bild allein wäre hinreichend der Volks­seele des Wendcnstammcs eine Zartheit des Gefühls und eine Innigkeit des Mitleids zu vindizieren, die uns mit der vollsten Sympathie erfüllen müssen. DieGottesklage, denn das bedeutet jenes Wort, ist fast ganz Stimme. Sie ist Vorbote und Weissagerin des Unglücks, das sie im voraus beweint, wie Jeremias oder Kassandra. Man glaubt im Harz in ähnlicher Weise an eine ihr analoge Läpsch oder Weheklage. Wollten Leute sie anfassen, dann war sie verschwunden. Diese tieftragische Figur ist eine köstliche Perle des slavischen Mythus und durchaus eigenartig. Sie ist die Verkörperung höchster Barmherzigkeit, eine Stimme der Natur, die mit dem Menschen klagt und weint.

Man sieht sie in Kindsgestalt, aber mit langem weissen Haar, unter dem Haselstrauch oder Hollunderbaum vor dem Hause sitzen.

Wohl dürfen wir uns vorstellen, dass die Bozawoss, jetzt nur bei kleinen Leuten über nahende Sterbefälle, über Brandunglück und die Folgen moralischer Fehltritte jammernd, in grauer Vorzeit einst auch die Wechsel­fälle staatlicher Kalamitäten bei Sorben und Wilzen vorhergesehen habe.

Mit ihr nehmen wir Abschied von der zur Anschauung gebrachten Reihe guter wie böser Dämonen unter den Wenden. Möchte uns alle diese Betrachtung mit Wohlwollen für einen Volkstamm erfüllt haben, der an ländlicher Grazie und heiter sprudelnder Phantasiefrische hinter keinem unseres Nordens zurücksteht, darin vielmehr andere übertrifft. Wo die Ge­staltungen seiner Einbildungskraft düstere Färbung annehmen, da reprä­sentieren dieselben die Unerbittlichkeit von Naturgewalten oder den Druck politischer und sozialer Drangsale. Aber alles ist durchgöttert, in allem pulsiert ein warmes und gesundes Lebensblut. Die Götter sind verschollen, die Halbgötter blieben. Keine Erinnerung mehr an Swantevit oder Radegast, dafür aber die wimmelnde Schaar solchen Dämonengesindels.