Heft 
(1896) 4
Seite
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ft. (7. ausserordl.) Versammlung des IV. Vereinsjahres. 201

Revolution nicht stattlinden, so verkündete ein riesiges Plakat am Stralauer Thor, älter welches ganz Berlin lachte.

Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts bewegte sich die Bedeutung des Stralauer Fischzuges in aufsteigender Linie. Im Jahre 1842 besuchte der nachmalige Kaiser Wilhelm I. mit seinen Brüdern, den Prinzen Karl und Albrecht, das Fest; 1843 erschienen dieselben Herrschaften, sowie Prinz Waldemar. Der letzte Besuch des Hofes fand 1847 statt. Seitdem sind Mitglieder unseres Königlichen Hauses nicht mehr zu der lustigen Kirmes erschienen. Das Volksfest nahm mehr-und mehr einen tumultuarischen Charakter an, der von Jahr zu Jahr stärkere polizeiliche Massregeln erheischte. Der Stralauer Fischzug, einst ein harmloses Volksfest, wurde in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Sammel­punkt aller derjenigen Elemente, die gern Radau machen und groben Unfug treiben. Diese verscheuchten das bessere Publikum. Am 23. Juli 1873 verbot der Amtsvorstand von Stralau die fernere Abhaltung des Volksfestes auf dem freien Platze vor der Kirche. Dies war namentlich auch nötig, um den kleinen Friedhof vor dem wüsten Treiben des Ber­liner Janhagels zu schützen. Seitdem hat es an Versuchen, das Fisch­zugsfest wieder aufleben zu lassen, nicht gefehlt, und es sind auch noch in späteren Jahren am 24. August ungeheure Menschenschwärme von Berlin nach Stralau gepilgert. Diese Versuche sind in erster Linie auf die interessierten Besitzer der Vergnügungslokale zurückzuführen. So hat der in den letzten zwanzig Jahren oftmals tot gesagte Stralauer Fischzug eine künstliche Wiedergeburt gefeiert. Er ist jedoch arg herunter­gekommen und ist jetzt lediglich ein Geschäftsunternehmen, an dessen früheren Glanz nur noch der: Name erinnert.

Das moderne Stralau nimmt unter den Vororten Berlins insofern eine eigenartige Stelle ein, als es mit seinen 1800 Einwohnern im wesentlichen an der Grenze seiner Ausdehnung und Entwickelung an­gelangt ist. Die Natur selbst hat dem Dorfe im Rummelsburger See und in der Spree unverrückbare Grenzen gegeben. Das uralte Fischer­dorf hat sich in unseren Tagen in einen Vergnügungs- und Fabrikort umgewandelt; namentlich die gewerbliche Thätigkeit hat in den letzten Jahrzehnten in Stralau sehr an Boden gewonnen, und die Fabrik­schornsteine sind die Ursache geworden, dass für Landhäuser in dem so idyllisch schön gelegenen Stralau kein Raum mehr ist.

Nach dem Vortrage fand eine Besichtigung des kleinen Friedhofes statt, welcher das altersgraue Kirchlein umgiebt; der Totengräber hatte soeben einem jüngst Entschlafenen die letzte Ruhestätte bereitet. Ein kurzer Spaziergang führte die Gesellschaft an die Spitze der Landzunge gegenüber der Liebesinsel und an den Rummelsburger See.

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