230
9. (1. (iffentl.) Versammlung des IV. Vereinsjahres.
eine Stätte des unbedingten Klassicismus, eines nachgeborenen Hellenentums. ln der Architektur: Schinkel und Bötticher, in der Bildhauerei: Rauch, in der Malerei: die Akademiedirektoren Wilhelm Schadow, Karl Wach, Karl Begas u. a., das waren die grossen leitenden Persönlichkeiten im damaligen Kunstleben der Residenz; das war die Zeit, der wir zweifelsohne herrliche Schöpfungen verdanken, um die man uns beneidet: das Brandenburgerthor, das Kgl. Schauspielhaus, das Alte Museum, das Denkmal Friedrichs des Grossen u. v. a. . . . Aber in der Fülle solcher hoheitsvollen Kunstgebilde fühlt sich doch unser märkisches Gemüt manchmal unbefriedigt, manchmal verwaist, und da fällt wohl unser Blick gelegentlich gern auf bescheidenere Werke von Meistern, die man heute nur selten noch nennen hört: z. B. auf die alten Berliner Bildnisse von Wilh. Hensel und auf die kleinen Genrestücke von Frd. Wilh. Hosemann. Ja, meine Herrschaften, da geht uns das Herz auf, da erwacht in uns ein tiefes Lokalinteresse, wenn wir in Hensel’s Bildnissen die grossen politischen und litterarischen Persönlichkeiten des alten Berlin begrüssen. Dieser Künstler gehörte, so bemerkt Ad. Rosenberg in seiner Geschichte der Berl. Malersch.*) zu jener Gruppe märkischer Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteste Type, der alte G. Schadow stand, Naturen, die man als doppellebig, als eine Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamasche und Toga, von preussischem Militarismus und klassischem Idealismus an- sehen kann. Die Seele griechisch, der Geist altenfritzig, der Charakter märkisch“. . . Und einen ähnlichen Charakter besass Hosemann. Der vorhin erwähnte Autor schreibt: „Wie Menzel der Maler des Preussen- tums, ist Hosemann der Maler des vormärzlichen Berlin, welches noch alle Eigentümlichkeiten der krähwinklichen Kleinstaaterei mit dem erwachenden trotzigen, aber doch noch komischen Selbstbewusstsein der werdenden Grosstadt vereinigt.“ Er griff „aus dem Volke seine Typen heraus und malte mit derbem Humor und frischer Unmittelbarkeit, was täglich auf der Strasse an ihm vorüberging: Schusterjungen, Droschkenkutscher, Leierkastenmänner, Gemüseweiber, Guckkästner, Sandfuhrleute, Handwerker und Soldaten — damals als achtbare und fleissige Leistungen nach Gebühr geschätzt, heute als treue Abbilder einer längst abgeschlossenen Epoche von hohem kulturhistorischen Werte.“
Innerhalb der Berliner Malerschule waren diese märkischen Leute z. Zt. aber nur Nebenfiguren. Weder fanden sie einen Rückhalt in den Bestrebungen und Zielen unserer Kgl. Akademie, noch kamen sie auf den grossen akademischen Kunstausstellungen zur Geltung. Hier herrschten vielmehr ganz andere, höhere künstlerische Gesichtspunkte, die freilich einer Grosstadt, einem zukünftigen Weltorte angemessener erscheinen . . .
) Berlin 1879.