Heft 
(1896) 4
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9. (1. üffentl.) Versammlung des IV. Vereinsjahres.

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Eine eigentliche Malerschule, analog der Münchener oder Düsseldorfer, hat Berlin niemals besessen. Vielmehr verpflanzten unsere Maler Kunst­anschauungen, die sie an der Isar, an der Düssel oder an der Seine sich er­worben, hierher, modifizierten manches, blieben aber im grossen und ganzen den Behren der auswärtigen Kunstschulen treu. Die Düssel­dorfer Romantik fand hei uns einen ebenso ergiebigen Boden, wie die unter Münchener Einfluss stehende Historienmalerei. Cornelius und Kaulbach kamen nach Berlin und fanden hier ihr begeistertes Publi­kum allerdings auch manche bittere Anfeindung. Einem erheblichen Teil unserer kritischen Landsleute gefiel an Cornelius nicht die über­triebene Körperlichkeit und das Weithergeholte seiner rätselvollen Ge­dankenwelt. Und sie sprachen das laut aus mit jenem Freimut, der nun mal den Berliner kennzeichnet. Cornelius aber rächte sich, indem er in einem Briefe aus Rom bemerkte:Diesem vertrackten, gottver­lassenen. Volke verlange ich nicht zu gefallen.

Im allgemeinen aber findet jeder Künstler hier sein Publikum; das klügste wie das albernste Zeug hat bei der ästhetischen Toleranz, die nun mal an der Spree herrscht, seine überzeugten Anhänger. Nur fordere kein noch so bedeutender Meister, dass tout-Berlin vor jedem seiner Werke auf den Knieen liege. Dafür sind wir nicht zu haben, selbst auf die Gefahr hin, als absprechend und undankbar zu gelten, wie man unser Wesen auswärts häufig und gern schildert . . . Viel gerechter wäre es doch, unsere Vorliebe für, die fremde Leistung (auf Kosten der eigenen) zu tadeln. Wir haben den Münchenern und den Düsseldorfern weitesten Spielraum gelassen, haben uns für die Farben­lust der Belgier ungeheuer begeistert, als Gallait und de Bièfve im Jahre 1842 mit ihren grandiosen Geschichtsbildern zum ersten Male nach Berlin kamen, haben für die berühmten Pariser Ateliers, die sich mit norddeutschen Adepten bevölkerten, munter Propaganda gemacht und schicken unsere Stipendiaten noch jahraus jahrein über die Alpen oder an die westliche Küste der Nordsee. Unser künstlerisches Gewissen erwies sich stets noch weiter als selbst unsere Börse, die oft für fremde Erzeugnisse, englische, französische, italienische, spanische, japanische, amerikanische, mehr timt, als sie vor den berechtigten Ansprüchen unserer heimischen Kräfte verantworten kann.

Dank hat aber Berlin für seine Weitherzigkeit bisher wenig ge­funden. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit heisst es vielmehr draussen: Berlin besitze keinen Geschmack, Berlin habe kein Verständnis für die Ideen wirklich origineller Künstler, Berlin sei noch zu junger Kunst- Boden, um sich schon für bedeutende künstlerische Aufgaben lebhafter interessieren zu können. . . Oft gehen derartigeSchmeicheleien von Journalisten aus, die dabei weiter nichts als gewisse geistreich klingende Antithesen dem gläubigen Leser zum besten geben wollen. Paris ist in