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Sinn viel nachzudenken; es singt sozusagen darauf los. Wenn sich das nicht mit einiger Bequemlichkeit thun lässt, wird das Lied entweder abgelehnt oder zurechtgerüttelt. So hat man immer verfahren; so ward nach Belieben und Bedarf manches aus altersgrauer Zeit herstammende Lied verstümmelt, dass man’s kaum wieder erkennen kann; oft gehört der erprobte Spürsinn eines Fachgelehrten dazu, um die rechtmässigen Theile der Dichtung nachzuweisen.
Der erwähnte Brief von Gustav Freytag (abgedruckt in den „Grenzboten“ III, 1895) bezieht sich auf ein Heft Lieder, welches 1870 für in’s Feld ziehende Soldaten znsammengestellt ward und womöglich dem ganzen Heere übermittelt werden sollte. Das Heft enthält u. A.: Die Wacht am Rhein, Deutschland über Alles, von Arndt des Deutschen Vaterland, sowie das Kriegslied gegen die Welschen, von Körner das Schwertlied, Lützows wilde Jagd, Trinklied vor der Schlacht, Gebet vor der Schlacht u. s. w.
Man wünschte hierüber ein Urtheil von Gustav Freytag, der sich in der Begleitung des Kronprinzen befand, zu hören; und er schrieb (am 23. September 1870): „Die Schwierigkeit der Spedition ist nicht das einzige Bedenken, welches mir gegen das patriotische Unternehmen erhoben wurde. Die Hauptsache ist — und ich spreche hier nicht nur die eigene Ansicht, sondern das Urtheil Aller aus, denen ich die kleinen Liederhefte zeigte — diese Lieder sind es nicht, welche unsere Soldaten zu singen lieben, und nicht die, welche sie im Felde brauchen, um den Segen eines frischen Liedes zu empfangen .... Die Mehrzahl der Lieder, welche man gewählt, sind .... sehr werthe Gabe der Gebildeten . . . . Dem Soldaten im Felde ist dies Genre viel zu vornehm und unbequem . . . . Ist das Rohheit unseres Volkes? Im Gegentheil. Es ist nur eine Wahrhaftigkeit, der in der Regel eine sehr feine Empfindung zu Grunde liegt. Wen der grimmige Ernst des Krieges umgiebt, der hat vor Allem das Bedürfniss, nicht sich poetisch darein zu versenken, sondern humoristisch daraus zu erheben. Diese Befreiung und Herstellung des Gleichgewichts wird am schnellsten durch einen Spass, einen derben Ausdruck erreicht. Der Soldat singt deshalb am liebsten etwas Lustiges. Und der Hauptmann überhört gern, wenn der Text nicht immer plumpe Ausdrücke vermeidet. Der Soldat braucht ferner flüssige Melodien und Texte, bei denen sich gut marschirt, solche, in denen nicht zu viel Anschauungen und schilderndes Detail zuzainmengedrängt ist, wie in der
Regel bei Arndt und Körner.Die drei Reiter und der gute Kamerad
werden noch durch mehrere Generationen gesungen werden; das „Lieb Vaterland kannst ruhig sein“ haben Offiziere und Soldaten im Felde herzlich satt. Es ist ein eigenes geheimnissvolles Ding um die Poesie des Volkes — für uns Gebildete. Und ich fürchte nicht, von Ihnen ungerechter Kritik geziehen zu werden, wenn ich Ihnen geradezu sage,
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